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Aufruhr in Oxford

Aufruhr in Oxford

Titel: Aufruhr in Oxford Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dorothy L. Sayers
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«O ja. Ich würde mir etwas anderes für sie suchen. Ich nehme an, Sie haben weder Jukes noch seine Frau irgend etwas sagen hören, woraus hervorginge, daß er – nun, daß er im College klaut oder einen Haß gegen das Kollegium hat?»
    «Ich habe mit Jukes nicht viel zu reden, Madam, und wenn Mrs. Jukes etwas wüßte, würde sie es mir nicht sagen. Das wäre ja auch nicht recht. Er ist ihr Mann, und sie muß sich auf seine Seite stellen. Das sehe ich vollkommen ein. Aber wenn Jukes unehrliche Sachen macht, muß ich mir doch etwas anderes für die Kinder suchen. Ich bin Ihnen sehr dankbar, daß Sie mir das gesagt haben, Madam. Am Mittwoch gehe ich hin, das ist mein freier Nachmittag, und dann werde ich bei der Gelegenheit kündigen. Darf ich fragen, ob Sie etwas zu Jukes gesagt haben, Madam?»
    «Ich habe mit ihm gesprochen und ihm gesagt, wenn er sich weiter hier herumtreibt, bekommt er es mit der Polizei zu tun.»
    «Das freut mich zu hören, Madam. Es ist natürlich nicht recht, wenn er so hierherkommt. Wenn ich das gewußt hätte, ich glaube, ich hätte nicht mehr schlafen können. Jedenfalls muß da ein Riegel vorgeschoben werden, das ist klar.»
    «Ganz recht. Übrigens, Annie, haben Sie im College schon einmal jemand in so einem Kleid gesehen?»
    Harriet nahm das bedruckte schwarze Crêpe-de-Chine-Kleid von dem Stuhl, der neben ihr stand. Annie sah es sich genau an.
    «Nein, Madam, nicht daß ich wüßte. Vielleicht weiß eines von den andern Mädchen was, die schon länger hier sind als ich. Zum Beispiel Gertrude im Speisesaal. Möchten Sie sie fragen?»
    Gertrude konnte aber auch nicht weiterhelfen. Harriet bat beide, das Kleid auch den andern Mädchen zu zeigen. Dies geschah, aber ohne Ergebnis. Auch bei einer Umfrage unter den Studentinnen wurde das Kleid nicht erkannt. Es wurde zurückgebracht, ohne daß jemand Anspruch darauf erhoben oder sich daran erinnert hätte. Ein Rätsel mehr. Harriet kam zu dem Schluß, daß es wohl doch der Giftspritze selbst gehört haben mußte; in diesem Falle aber mußte es ins College gebracht und bis zu seinem dramatischen Wiederauftauchen in der Kapelle versteckt gehalten worden sein; denn wenn es je im College getragen worden wäre, hätte es doch nach menschlichem Ermessen irgend jemand gesehen und erkannt haben müssen.
    Von den Alibis, die nach und nach von den Mitgliedern des Dozentinnenkollegiums erbracht wurden, war kein einziges hieb- und stichfest. Das war nicht weiter überraschend; andersherum wäre es schon überraschender gewesen. Harriet allein (und natürlich Mr. Pomfret) kannte den genauen Zeitpunkt, für den das Alibi benötigt wurde; und wenn auch viele sich bis gegen Mitternacht noch ausweisen konnten, hatten doch alle um Viertel vor eins schon tugendhaft in ihren Betten gelegen oder behaupteten es wenigstens. Und obwohl das Pförtnerbuch und die Ausgangskarten kontrolliert und alle Studentinnen befragt worden waren, die um Mitternacht herum noch draußen auf dem Hof gewesen sein konnten, war niemandem ein verdächtiges Verhalten mit Talaren oder Kissen oder Brotmessern aufgefallen. Verbrechen waren in so einer Institution viel zu leicht. Das College war zu groß und zu offen. Selbst wenn hier jemand mit einem Kissen bewaffnet auf dem Hof gesehen worden wäre, ja sogar mit einem kompletten Bettgestell samt Matratze, hätte sich niemand etwas dabei gedacht. Da wollte eben irgendso eine Frischluftfanatikerin draußen schlafen – das wäre die natürliche Schlußfolgerung gewesen.
     
    Fassungslos ging Harriet in die Bodleiana und warf sich auf ihre Lefanu-Forschungen. Da wußte man wenigstens, wonach man suchte.
    Sie hatte so sehr das Bedürfnis nach beruhigendem Einfluß, daß sie nachmittags ins Christ Church College ging, um in der Kathedrale dem Gottesdienst beizuwohnen. Sie war einkaufen gewesen – hatte unter anderem eine Tüte Gebäck erstanden, mit dem sie ein paar Studentinnen bewirten wollte, die sie für heute abend zu sich eingeladen hatte – und der Gedanke, die Kathedrale aufzusuchen, kam ihr erst, als sie schon alle Hände voll zu tragen hatte. Es war auch ein ziemlicher Umweg, aber die Päckchen waren ja nicht schwer. Sie schlängelte sich über den Carfax, verärgert ob des Gedränges von Kraftfahrzeugen und ob der Verkehrsampeln, die alles noch komplizierter machten, und reihte sich in den kleinen Strom von Fußgängern ein, die mit demselben frommen Ziel wie sie die St. Aldate’s hinuntergingen und in Kardinal Wolseys

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