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Aufruhr in Oxford

Aufruhr in Oxford

Titel: Aufruhr in Oxford Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dorothy L. Sayers
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hatte?»
    «Mein Name ist Harriet Vane.»
    Lord Saint-George blieb stocksteif stehen und schlug sich klatschend an die Stirn.
    «Mein Gott, was habe ich angerichtet! Miss Vane, ich bitte ja so sehr um Entschuldigung – demütig vertraue ich mich Ihrer Barmherzigkeit an. Wenn mein Onkel das erfährt, verzeiht er mir nie, und dann werde ich mir die Kehle durchschneiden. Wie ich sehe, habe ich alles nur Denkbare gesagt, was ich nicht hätte sagen dürfen.»
    «Es war meine Schuld», sagte Harriet, als sie sah, wie betroffen er war. «Ich hätte Sie warnen sollen.»
    «Was habe ich solche Dinge überhaupt irgend jemandem zu erzählen! Aber ich fürchte, ich habe von meinem Onkel die Zunge und von meiner Mutter den Takt geerbt. Bitte, vergessen Sie um Gottes willen den ganzen Quatsch. Onkel Peter ist ein feiner Kerl und so anständig wie nur einer.»
    «Ich hatte Gelegenheit, das selbst festzustellen», sagte Harriet.
    «Vermutlich. Übrigens – verflixt! Ich scheine überall ins Fettnäpfchen zu treten, aber ich sollte Ihnen doch sagen, daß ich ihn nie ein Wort über Sie habe sagen hören. Ich meine, so einer ist er nicht. Das ist meine Mutter. Sie erzählt alles mögliche. Entschuldigung. Ich mache alles nur noch schlimmer.»
    «Keine Sorge», sagte Harriet. «Schließlich kenne ich Ihren Onkel – jedenfalls gut genug, um zu wissen, was für einer er wirklich ist. Und ich werde Sie ganz bestimmt nicht verraten.»
    «Um Gottes willen, tun Sie das nicht. Nicht nur weil ich sonst nie wieder einen Penny von ihm kriege – und ich sitze in einer ekelhaften Patsche –, sondern weil ich mich sonst wie eine schreckliche Wanze fühlen muß. Ich nehme nicht an, daß sie schon mal von meinem Onkel die Leviten gelesen bekommen haben. Aber wenn ich zu wählen hätte, würde ich mich lieber lebendig häuten lassen.»
    «Wir sitzen beide im selben Boot. Ich hätte Ihnen nicht zuhören dürfen. Auf Wiedersehen – und vielen Dank für die Meringen.»
    Sie war schon halb die St. Aldate’s hinauf, als Lord Saint-George sie einholte.
    «Hören Sie – was mir gerade einfällt: Diese alte Geschichte, die ich Esel da aufgerührt habe –»
    «Von der Wiener Tänzerin?»
    «Sängerin – er hat es mit der Musik. Bitte, vergessen Sie das. Ich meine, die Sache hat einen Bart – ist sowieso schon sechs Jahre her. Ich war damals noch auf der Schule, und wahrscheinlich ist das alles überhaupt nur Quatsch.»
    Harriet lachte und versprach ihm feierlich, die Wiener Sängerin zu vergessen.

9. Kapitel
    Komm her, mein Freund, es beschämt mich zu hören, was ich von dir hören muß … Du zählst jetzt schon fast der Jahre neun, zum mindesten achteinhalb, und da du deine Pflichten kennst, verdienst du, so du sie vernachlässigst, schwerere Strafe als der, welcher sie aus Unwissenheit nicht tut. Denke nicht, daß der Adel deiner Ahnen dir die Freiheit gebe, zu tun, was dich gelüstet; er bindet dich vielmehr noch stärker an den Pfad der Tugend.
    PIERRE ERONDELL
     
    «Also», sagte die Quästorin, als sie am darauffolgenden Donnerstag raschen Schrittes zum Mittagessen an die Hohe Tafel kam, «da hat sich dieser Jukes doch schon wieder Scherereien eingehandelt …»
    «Hat er wieder gestohlen?» fragte Miss Lydgate. «Mein Gott, das wäre aber eine Enttäuschung!»
    «Annie sagt mir, daß sie schon seit einiger Zeit so einen Verdacht hatte, und gestern, an ihrem freien Nachmittag, ist sie hingegangen, um Mrs. Jukes zu sagen, daß sie die Kinder woanders unterbringen wolle – und in dem Moment kommt die Polizei herein und entdeckt ein ganzes Lager von Dingen, die vor zwei Wochen aus dem Zimmer eines Studenten in der Holywell Street abhanden gekommen sind. Es war ihr höchst unangenehm – Annie, meine ich. Sie haben ihr so viele Fragen gestellt.»
    «Ich habe es ja schon immer für einen Fehler gehalten, die Kinder dort unterzubringen», sagte die Dekanin.
    «Dann war das also Jukes’ nächtliche Beschäftigung», sagte Harriet. «Ich habe auch schon gehört, daß man ihn hier draußen ums College hat herumschleichen sehen. Ich selbst habe Annie sogar den Tip gegeben. Ein Jammer, daß sie die Kinder nicht schon früher wegholen konnte.»
    «Und ich hatte gedacht, er käme jetzt ganz gut zurecht», klagte Miss Lydgate. «Er hatte eine Arbeit – und ich weiß, daß er sich Hühner hielt – und dann bekam er noch das Geld für die kleinen Wilsons, Annies Kinder, meine ich – also hätte der arme Mann es doch gar nicht nötig gehabt zu

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