Aufstieg der Toten: Roman (German Edition)
und suche nach der Ursache des Lärms. Da er nichts sehen konnte, beruhigte er sich allmählich wieder. Die Schritte wurden langsamer, bis sie schließlich verstummten. Das Grunzen verstummte jedoch nicht. Manchmal hörte Stiles auch ein Schnauben und Schnüffeln. Er schluckte, atmete tief durch und begab sich an die Tür, die der Geräuschquelle am nächsten war. Er spürte, dass sein Herz heftig pochte und wies es an, gefälligst in einem normalen Tempo zu schlagen. Das Herz spielte nicht mit.
Der Gestank im Korridor des ersten Stocks war fast unerträglich, auch dann noch, als Stiles sich sein Hemd über die Nase zog. Seine Augen begannen zu tränen. Sein Magen schlug Purzelbäume. Ihm war nach Übergeben zumute, doch er kämpfte gegen das Gefühl an. Ein Teil seines Ichs wollte seine Position schützen, ein anderer Teil sagte ihm einfach nur, dass er alles vermeiden sollte, was dazu führen konnte, den Gestank zu verstärken.
Als Stiles vor der Tür stand, erstarrte er zum zweiten Mal.
Was war hinter dieser Tür? Vielleicht war es nur ein Sprinter. Der Gestank sagte ihm aber, dass sich da drin auch ein Leichnam befand. War die Leiche ein Watschler oder ein echter Toter? Vielleicht hielt sich hinter der Tür auch mehr als ein Sprinter auf. Vielleicht hatte er nur einen gehört?
Stiles’ Hand schwebte eine Weile über dem Türknauf. Dann zog er sie zurück. Nein, es war zu riskant. Es war besser, zu seinen Bedingungen gegen den Feind zu kämpfen.
Stiles trat zurück. Er entfernte sich einige Schritte von der Tür. Dann kniete er sich hin. Er zielte auf die Tür, atmete erneut tief durch, um ruhig zu werden, und schlug dann mehrmals fest mit der flachen Hand gegen die Wand, sodass sie bebte. Er pfiff eine schrille Note, brach ab, als er nicht mehr konnte, und schrie dann die Zoten, derer er sich schon draußen auf der Straße befleißigt hatte.
» He, du Wichser! Ja, du da, hinter der Tür! Du hässlicher räudiger infizierter Schweinehund! Wie wär’s denn mit ’nem kleinen Imbiss, hm? Wie wär’s mit ’nem Stiles-Steak? Tja, dafür musst du dich ’n bisschen anstrengen, du verfluchter Scheißhau…«
Die Tür wurde aus den Angeln gerissen. Sie blieb schief hängen, und der Infizierte stürmte auf den Korridor hinaus. Er war groß, wog mindestens zwei Zentner und sah aus wie ein Preisboxer. Und dazu trug er das passende Trikot.
Der Kerl drehte sich in Stiles’ Richtung, durchbohrte ihn mit einem unheilvollen Blick und brüllte auf.
» Tach«, sagte Stiles.
Sein Gewehr war ausgerichtet.
Er brauchte nur noch den Abzug zu betätigen.
Die Kugel erwischte den Infizierten an der Schläfe, und sein Kopf flog nach hinten. Ein Ausdruck verwirrter Frustration spielte über seine Miene, dann knickten seine Beine ein, und er sank zu Boden. Als er aufschlug, bebte der gesamte Korridor.
Stiles schob eine neue Patrone in die Kammer, stand auf und hielt die Waffe auf den Toten gerichtet. Diese Position behielt er einige Sekunden bei, doch der Leichnam rührte sich nicht. Unter dem Schädel des Infizierten breitete sich eine im Zwielicht schwarz aussehende Blutlache aus.
Stiles ging an dem Leichnam vorbei zu dem Zimmer, das der Infizierte bewohnt hatte. Er lugte um die Ecke, leuchtete mit der Taschenlampe hinein und würgte.
Er wusste nicht, ob das, was er dort sah, die Frau, die Freundin oder eine Bekannte des Infizierten war, aber wer sie auch gewesen sein mochte: es spielte nun keine Rolle mehr. Der Infizierte hatte sie zerlegt. Der Raum war ein Schlafzimmer. Das Opfer hatte, vielleicht sogar schlafend, im Bett gelegen, als er über es hergefallen war. Die einst weißen Laken waren nun schwarz und von getrocknetem Blut verkrustet. Die Wände neben dem Bett sahen ähnlich aus. Das einzige Geräusch im Raum war das Summen zweier Fliegen, die den Leichnam in der Dunkelheit umschwirrten. Ein Arm der Leiche ragte in die Luft, die Finger in der Verwesung starr und klauenartig. Der Mund war offen, zwischen den aufgeplatzten Lippen war eine geschwollene Zunge zu sehen. Es sah aus, als bäte die Tote irgendwie um Erlösung.
Stiles wich zurück. Er drückte eine Hand auf seinen Mund, wandte sich um und eilte zu der Treppe, die nach unten in den Lagerraum führte. Es gelang ihm gerade noch, den Schreibtisch zu erreichen, dann musste er sich dem körperlichen Drängen ergeben. Er ging in die Knie und kotzte den Schokoriegel in einen Papierkorb aus. Er blieb mehrere Minuten lang dort stehen und würgte etliche Male.
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