Aufstieg der Toten: Roman (German Edition)
nachtaktiv. Und nur eins trieb sie an: die Verfolgung ihrer Beute.
Anna wünschte sich, in den Straßen Washingtons wäre ihr der Anblick erspart geblieben, doch andererseits hatte sie sich in ihrem Leben schon viel gewünscht, und, wie fast alle Wünsche, die man sich weltweit machte, war er nicht erfüllt worden.
Ihr Grinsen verwandelte sich in ein schmallippiges Stirnrunzeln. Trotz der vielen Tage, Wochen und Jahre der Arbeit an dem Virus fand sie nur Daten von Dingen, die jeder Überlebende ebenfalls wusste. Sie blätterte einen Eintrag nach dem andern durch, las Exzerpte von Versuchen über weitere unglückselige Labormäuse, Häppchen von RNS -Abläufen und epidemiologische Simulationen. Ihre schwarzhumorige Stimmung verfinsterte sich noch mehr, als sie auf einen ihrer späteren Einträge stieß, nachdem sie seit zwei Monaten nur an einer epidemischen Hochrechnung gearbeitet hatte.
21. Mai 2005 – Tagebucheintrag Nr. 987
Ich habe meine Arbeit an der epidemiologischen Hochrechnung der drei Erreger, die noch der Autorität unserer Abteilung unterliegen, abgeschlossen: Hanta, Zaire und Morgenstern. Die Simulationen sehen größtenteils düster aus.
Das Hanta-Virus, an den amerikanischen Küsten heimisch, ist eine uns nicht unvertraute Erkrankung. Wir haben Worst -Case-Szenarios vorgenommen, die nicht besonders beunruhigend waren. Das Virus ist schwer nachzuweisen, da seine Symptome anfangs denen der Grippe gleichen, doch sobald es als Hanta identifiziert ist, kann schnelles Handeln den Ausbruch stoppen, bevor der Erreger Unheil anrichtet. Wenn man davon ausgeht, dass die Massenmedien informiert sind, beweisen einfache Maßnahmen wie das Tragen von Gesichtsmasken oder die Vermeidung von Kontakt mit vergifteten Gebieten, dass der Virenausbruch sich in minimal drei und maximal acht Monaten von allein totläuft. Die Verluste kann man unter ›unbedeutend‹ verbuchen.
Ebola Zaire war eine verzwicktere Situation, da die Infektionshäufigkeit schwer vorherzusagen ist. Das Virus ist ein schneller Killer, was bedeutet, dass eine bedeutende Chance besteht, dass es sich ausbrennt, bevor es sich vom Ausbruch zu einer ausgewachsenen Pandemie mausert. Das Virus ist im Gegensatz zu Hanta ein Afrikaner (nach dem Fluss gleichen Namens), deswegen besteht ein geografischer Puffer zwischen der Krankheit und uns. Außerdem sind die Dörfer in diesem Gebiet Afrikas nicht unvertraut mit dem Virus und werden Maßnahmen einleiten, um sich selbst unter Quarantäne zu stellen, was zu einem zusätzlichen Puffer führt.
Jedoch haben wir, wie erbeten, ein Worst-Case-Szenario gefahren – mit unschönen Resultaten. Unter der Annahme einer weltweiten Infektion und Faktorisierung einer Verlustrate des Virus (90% +/- 5%) schätzten wir, dass jeder dritte Mensch ums Leben käme. Diese Verluste kann man als ›katastrophal‹ einstufen. Hochrechnungen kommen auf etwas mehr als zwei Milliarden Tote.
Schließlich haben wir die Morgenstern-Simulation durchgeführt, vollständig mit den Daten, die wir über die räuberische Natur der infizierten Wirte gesammelt hatten, und wir haben uns fast vor Angst in die Hose gemacht. Wir haben das Worst-Case-Szenario durchgespielt (Morgenstern entwischt aus seinem natürlichen Lebensraum, infiziert Großstädte und Reiserouten, etc.), und mir war, als sollte ich auf der Stelle kündigen und mich irgendwohin in die Berge verziehen, sehr weit weg von allen anderen Menschen. Die Hochrechnung ließ Morgenstern im Zeitraum einer Woche vom Ausbruch zur Pandemie springen. Von dem Zeitpunkt an stiegen die Verluste exponenziell. Die Sterblichkeitsrate des Virus war verzwickt: Da es seinen Wirt am Leben lässt, kann man ihn dann überhaupt als Todesfall zählen? Wir beschlossen, im Fall dieser Simulationen einen lebendigen infizierten Wirt als Todesfall zu werten.
Eingedenk der Zahl der Infektionen und Sterblichkeitsrate (100% +/- 0%) rechneten wir die totale Vernichtung der menschlichen Spezies hoch. Wir schätzten, dass ungefähr fünfunddreißig Millionen Menschen die Pandemie überleben würden. Anders ausgedrückt: Für jeden einzelnen Überlebenden würden 1714 Menschen sterben. Die meisten Überlebenden würden in ländliche Gebiete verdrängt werden, aufgrund natürlicher Entfernungen oder Geografie abgeschnitten von den bevölkerten Zentren.
Infizierte Groß- und Kleinstädte räumen Überlebenden nur geringe Chancen ein. Wir haben auch diese Zahlen durchgespielt und festgestellt, dass auf jeden
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