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Aufzeichnungen aus dem Kellerloch: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Aufzeichnungen aus dem Kellerloch: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Aufzeichnungen aus dem Kellerloch: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fjodor M. Dostojewskij
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wende ich mich an Sie, ganz, als ob ich mich wirklich an Leser wendete? Geständnisse, wie ich sie zu machen beabsichtige, läßt man nicht drucken und gibt sie keinem zu lesen. Ich wenigstens habe nicht so viel Charakterstärke und halte es auch für überflüssig, sie zu besitzen. Aber sehen Sie: mir ist ein phantastischer Gedanke in den Kopf gekommen, und nun will ich ihn um jeden Preis verwirklichen. Es handelt sich um Folgendes:
    In den Erinnerungen jedes Menschen gibt es Dinge, die er nicht allen mitteilt, höchstens seinen Freunden. Aber es gibt auch Dinge, die er nicht einmal den Freunden gesteht, sondern höchstens sich selbst und auch das nur unter dem Siegel der Verschwiegenheit. Schließlich gibt es auch solche Dinge, die der Mensch sogar sich selbst zu gestehen fürchtet, und solche Dinge sammeln sich bei jedem anständigen Menschen in ziemlicher Menge an. Es ist sogar so: je anständiger der Mensch ist, desto mehr davon hat er. Jedenfalls habe ich selbst mich erst vor kurzer Zeit entschließen können, mich einiger meiner früheren Abenteuer zu erinnern, bis dahin hatte ich immer einen Bogen um sie gemacht, sogar mit einem gewissen Unbehagen. Jetzt aber, da ich mich nicht nur ihrer erinnere, sondern mich sogar entschlossen habe, sie aufzuschreiben, jetzt will ich es gerade ausprobieren: Kann man denn wenigstens sich selbst gegenüber ganz und gar aufrichtig sein, ohne vor der vollen Wahrheit zurückzuschrecken? Bei dieser Gelegenheit: Heine behauptet, zuverlässige Autobiographien seien etwas Unmögliches, der Mensch werde über sich selbst niemals die Wahrheit sagen. Er meint, Rousseau habe sich in seinen Bekenntnissen zweifellos selbst verleumdet, und sogar aus Eitelkeit bewußt verleumdet. Ich bin überzeugt, daß Heine recht hat; ich begreife vollkommen, wie man sich zuweilen einzig aus Eitelkeit ganze Verbrechen zuschreiben kann, und ich begreife auch vollkommen, welcher Art diese Eitelkeit ist. Aber Heine urteilte über einen Menschen, der vor einem Publikum beichtete. Ich jedoch schreibe nur für mich selbst und erkläre hiermit ein für allemal: Wenn ich auch so schreibe, als wendete ich mich an Leser, so tue ich das doch nur zum Schein, weil es mir leichter fällt, so zu schreiben. Das ist eine Formsache, eine reine Formsache. Leser werde ich niemals haben. Ich habe das schon einmal gesagt …
    Ich möchte mir beim Niederschreiben meiner Aufzeichnungen keinen Zwang auferlegen lassen. Ich werde mich weder an eine Ordnung noch an ein System halten. Ich werde aufschreiben, was mir gerade einfällt.
    Nun, da könnte man mich beispielsweise beim Wort nehmen und fragen: Wenn Sie wirklich nicht auf Leser rechnen, warum treffen Sie mit sich selbst, dazu noch schriftlich, solche Abmachungen, daß Sie sich zum Beispiel an keine Ordnung und an kein System halten werden, daß Sie alles so niederschreiben wollen, wie es Ihnen einfällt usw. usw.? Warum rechtfertigen Sie sich? Warum entschuldigen Sie sich?
    »Das ist nun einmal so«, antworte ich.
    Darin liegt übrigens eine ganze Psychologie. Vielleicht ist es aber auch einfach meine Feigheit. Es kann aber auch sein, daß ich mir absichtlich ein Publikum vorstelle, um mich, solange ich schreibe, manierlicher zu benehmen. Gründe kann es wirklich zu Tausenden geben.
    Aber noch etwas: Warum eigentlich, wozu will ich schreiben? Wenn es nicht für ein Publikum geschieht, könnte man sich dann nicht auch so, in Gedanken, erinnern, ohne es zu Papier zu bringen?
    Stimmt; aber auf dem Papier nimmt es sich doch gewissermaßen feierlicher aus. Es ist eindringlicher. Man geht mit sich strenger ins Gericht. Der Stil entwickelt sich. Außerdem: es könnte immerhin sein, daß mir das Niederschreiben wirklich Erleichterung verschaffte. Im Augenblick zum Beispiel bedrückt mich ganz besonders die Erinnerung an ein weit zurückliegendes Ereignis. Vor einigen Tagen tauchte sie in mir auf und will seither nicht weichen, wie eine lästige Melodie, die einem nicht aus dem Sinn gehen will. Solche Erinnerungen gibt es bei mir zu Hunderten; von Zeit zu Zeit steigt eine von ihnen auf und quält mich. Nichtsdestoweniger muß ich sie loswerden. Aus irgendeinem Grunde glaube ich, daß ich sie los bin, sobald ich sie niedergeschrieben habe. Warum sollte man es nicht versuchen?
    Und endlich: ich langweile mich und tue nie etwas. Schreiben ist immerhin so etwas wie eine Arbeit. Man sagt, daß der Mensch durch Arbeit gut und redlich werde. Nun, da hätte man wenigstens eine Chance.
    Es

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