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Aufzeichnungen aus dem Kellerloch: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Aufzeichnungen aus dem Kellerloch: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Aufzeichnungen aus dem Kellerloch: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fjodor M. Dostojewskij
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möchte. Im Gegenteil, ich würde mir aus purer Dankbarkeit die Zunge abschneiden lassen, wenn es nur dahin käme, daß ich niemals mehr den Wunsch hätte, sie herauszustrecken. Was kann ich dafür, daß es nicht dahin kommen kann und daß man sich mit Mietwohnungen begnügen muß? Warum bin ich dann mit solchen Wünschen ausgestattet? Sollte ich denn wirklich nur so ausgestattet worden sein, um zu dem Schluß zu kommen, daß meine ganze Ausstattung ein Bluff ist? Sollte das der ganze Sinn sein? Ich glaube nicht.
    Doch übrigens, wissen Sie: ich bin überzeugt, daß man unsereinen, den Kellerlochmenschen, im Zaume halten muß. Er ist wohl fähig, vierzig Jahre lang stumm in seinem Kellerloch auszuharren, kommt er aber ans Licht, dann geht es mit ihm durch, dann redet er, redet, redet, redet …

XI
    Letztlich und endlich, meine Herrschaften: Lieber gar nichts tun! Lieber bewußte Passivität! Also: es lebe das Kellerloch! Ich habe zwar gesagt, daß ich den normalen Menschen galligst beneide; aber unter den Bedingungen, unter denen ich ihn sehe, möchte ich mit ihm nicht tauschen (obwohl ich nicht aufhören werde, ihn zu beneiden). Nein, nein, das Kellerloch ist unter allen Umständen vorteilhafter! Dort kann man wenigstens … Ach! Sogar jetzt lüge ich! Ich lüge, weil ich selbst weiß wie zwei mal zwei, daß das Beste keineswegs das Kellerloch ist, sondern etwas anderes, etwas ganz anderes, wonach ich mich sehne, das ich aber auf keine Weise finden kann! Zum Teufel mit dem Kellerloch!
    Sogar Folgendes wäre schon besser: es wäre besser – wenn ich selbst nur an irgend etwas von dem glauben könnte, was ich soeben geschrieben habe. Ich schwöre Ihnen, meine Herrschaften, daß ich kein einziges, aber auch wirklich kein einziges Wörtchen von all dem hier Zusammengeschriebenen glaube! Das heißt, ich glaube schon daran, doch im selben Augenblick, aus einem unbekannten Grund, fühle und argwöhne ich, daß ich lüge wie gedruckt.
    »Ja, wozu haben Sie denn das alles geschrieben?« fragen Sie mich.
    »Sitzen Sie mal vierzig Jahre tatenlos in einem Kellerloch! Und warten Sie, bis einer kommt und sich nach vierzig Jahren erkundigt, wie es um Sie steht! Darf man denn einen unbeschäftigten Menschen vierzig Jahre lang allein lassen?«
    »Das ist doch peinlich! Das ist doch erniedrigend!« werden Sie mir vielleicht mit einem verächtlichen Kopfschütteln sagen. »Sie lechzen nach Leben und wollen Lebensfragen durch logische Konfusion lösen. Und wie zudringlich, wie frech sind Ihre Ausfälle, und wie ängstlich sind Sie dabei! Sie schwatzen Unsinn und sind noch stolz darauf; Sie sagen Frechheiten, derentwegen Sie zittern und um Entschuldigung bitten. Sie versichern, Sie hätten keine Angst, und zu gleicher Zeit versuchen Sie, sich bei uns beliebt zu machen. Sie versichern, Sie knirschten mit den Zähnen, und reißen zu gleicher Zeit Witze, um uns zum Lachen zu bringen. Sie wissen, daß Ihre Witze platt sind, und doch sind Sie mit ihrem literarischen Wert offensichtlich sehr zufrieden. Vielleicht haben Sie wirklich einiges durchgemacht, aber Sie haben vor Ihrem eigenen Leiden nicht die geringste Achtung. Sie haben in manchem recht, aber Ihnen fehlt jedes Schamgefühl. Aus kleinlichster Eitelkeit tragen Sie Ihre Wahrheit zur Schau, zu Schimpf und Schande auf den Markt … Sie haben wirklich irgend etwas zu sagen, doch aus Furcht halten Sie Ihr letztes Wort zurück, denn Sie besitzen nicht die Entschlossenheit, es auszusprechen, sondern nur feige Dreistigkeit. Sie prahlen mit Ihrem Bewußtsein, aber Sie schwanken bloß hin und her, denn wenn Ihr Verstand auch funktioniert, Ihr Herz ist vom Laster verfinstert, und ohne reines Herz kann es kein volles, richtiges Bewußtsein geben. Und wie zudringlich Sie sind! Wie vorlaut! Wie affektiert! Lüge, Lüge und nochmals Lüge!«
    Selbstverständlich habe ich diese Worte, Ihre Worte, selbst erfunden. Das stammt auch aus dem Kellerloch. Dort habe ich vierzig Jahre lang auf diese Ihre Worte durch ein Spältchen gelauscht. Ich habe sie mir selbst ausgedacht, das war ja das einzige, was sich ausdenken ließ. Kein Wunder, daß ich sie auswendig kann und daß sie eine literarische Form angenommen haben.
    Ist es denn die Möglichkeit, ist es denn die Möglichkeit, daß Sie tatsächlich so leichtgläubig sind und sich einbilden, ich würde das alles drucken lassen und Ihnen sogar zu lesen geben? Und dann finde ich noch etwas komisch: Warum nenne ich Sie ›meine Herrschaften‹, warum

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