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Aufzeichnungen aus dem Kellerloch: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Aufzeichnungen aus dem Kellerloch: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Aufzeichnungen aus dem Kellerloch: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fjodor M. Dostojewskij
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anhaltende unerträgliche Erniedrigung in dem Gedanken, der zu einer anhaltenden und unmittelbaren Empfindung wurde, daß ich in den Augen aller Welt nur eine Fliege war, eine gemeine, unnütze Fliege, wenn auch klüger als alle, wenn auch gebildeter als alle, wenn auch edler als alle – das versteht sich von selbst –, so doch eine allen fortwährend ausweichende Fliege, von allen erniedrigt und von allen beleidigt. Wozu ich diese Qualen auf mich nahm, warum ich auf den Newskij ging – weiß ich das? Es zog mich nun einmal bei jeder Gelegenheit dorthin.
    Schon damals begann ich auf den Geschmack jener Genüsse zu kommen, die ich bereits im ersten Kapitel erwähnt habe. Nach der Geschichte mit dem Offizier aber zog es mich noch mehr dorthin: gerade auf dem Newskij traf ich ihn am häufigsten, gerade dort konnte ich mich an ihm satt sehen.
    Auch er ging dort vornehmlich an Feiertagen spazieren. Wenn er auch vor Generälen und Personen von Rang Platz machte und zwischen diesen sich wie ein Aal hindurchschlängelte, so wurde doch unsereiner, ja sogar mancher, der um einiges besser war, von ihm einfach überfahren; auf solche ging er geradewegs los, als sei vor ihm leerer Raum, und machte unter keinen Umständen Platz. Ich berauschte mich an meinem Haß, wenn ich ihn beobachtete, und wich ihm jedesmal voll Haß aus. Es quälte mich, daß ich ihm selbst auf der Straße nicht standhalten konnte. “Warum weichst du unbedingt als erster aus?” fragte ich mich in rasender Erregung, wenn ich zuweilen gegen drei Uhr nachts erwachte, “warum denn gerade du und nicht er? Dafür gibt es doch kein Gesetz, das steht doch nirgends geschrieben. Nun, kann es denn nicht halb und halb sein, wie es zu sein pflegt, wenn höfliche Leute sich begegnen: er gibt halb nach und du gibst halb nach, ihr geht beide einfach aneinander vorbei, in gegenseitiger Hochachtung.” Doch das geschah nie, nach wie vor machte nur ich Platz, er aber bemerkte nicht einmal, daß ich ihm auswich. – Da kam mir plötzlich der allerverblüffendste Gedanke: “Wie aber”, dachte ich, “wie wäre es, wenn ich ihm begegnete und … nicht auswiche? Absichtlich nicht auswiche, und wenn ich ihn auch anstoßen sollte; wie wäre das?” Dieser kühne Gedanke bemächtigte sich meiner allmählich derart, daß ich überhaupt keine Ruhe mehr finden konnte. Ich träumte ununterbrochen davon, es war ganz fürchterlich, und ich ging absichtlich öfters auf den Newskij, um mir noch deutlicher auszumalen, wie ich es machen würde, wenn ich es täte. Ich war entzückt. Immer mehr erschien mir mein Vorhaben ebenso wahrscheinlich wie ausführbar. “Versteht sich, nicht umrennen”, dachte ich, schon im voraus vor Freude wohlwollend gestimmt, “sondern nur einfach nicht ausweichen. Zusammenstoßen, aber nicht schmerzhaft, nur so, Schulter an Schulter, gerade so stark, wie es der Anstand erlaubt; so daß ich ihn ebenso stark stoße, wie er mich stößt.” Endlich entschloß ich mich endgültig. Doch die Vorbereitungen nahmen sehr viel Zeit in Anspruch. Vor allen Dingen mußte man für die Ausführung möglichst respektabel aussehen und sich um seine Kleider kümmern. “Auf alle Fälle, wenn dabei zum Beispiel ein Auflauf entsteht (das Publikum nämlich ist hier superfein: die Gräfin kommt, Fürst D. kommt, die ganze Literatur kommt), muß man doch gut angezogen sein; das imponiert und hebt uns gewissermaßen in den Augen der höheren Gesellschaft auf die gleiche Stufe.” Zu diesem Zweck erbettelte ich mir einen Vorschuß und kaufte dann im besten Herrengeschäft ein Paar schwarze Handschuhe und einen anständigen Hut. Schwarze Handschuhe erschienen mir sowohl seriöser als auch mehr bon ton als zitronengelbe, auf die ich es zuerst abgesehen hatte. “Die Farbe ist zu grell, und es sieht so aus, als wolle der Mensch allzusehr auffallen”, und ich verzichtete auf die zitronengelben. Das gute Hemd mit den weißen Beinknöpfen hatte ich schon längst beiseite gelegt; nur der Mantel hielt mich lange auf; an und für sich war mein Mantel durchaus nicht übel und warm; aber er war wattiert und hatte einen Waschbärkragen, das war schon der Gipfel des Lakaientums. Man mußte unbedingt den Kragen ändern und, was es auch kostete, einen Biber anschaffen, wie ihn die Offiziere tragen. Zu diesem Zweck ging ich des öfteren ins Gostinnyj Dwor und entschied mich nach einigem Hin und Her für einen billigen deutschen Biber. Diese deutschen Biber tragen sich zwar sehr schnell ab

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