Aufzeichnungen aus dem Kellerloch: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)
meine Unfähigkeit und Bedeutungslosigkeit war. Trotzdem hatte ich keine derart tiefe Verachtung erwartet. Simonow staunte sogar über meinen Besuch. Auch früher hatte er sich schon immer über mein Kommen gewundert. Alles das machte mich stutzig; bedrückt setzte ich mich und hörte ihrem Gespräch zu.
Man sprach mit Ernst und sogar mit Feuer über das Abschiedsdiner, das diese Herrschaften schon morgen ihrem Freund Swerkow geben wollten, einem Offizier, der sehr weit weg versetzt werden sollte. Monsieur Swerkow war gleichfalls von der ersten Klasse an mein Mitschüler gewesen. In den oberen Klassen hatte ich ihn ganz besonders zu hassen begonnen. In den unteren Klassen war er bloß ein hübscher lustiger Knabe gewesen, den alle liebten. Übrigens haßte ich ihn auch schon in den unteren Klassen eben gerade deshalb, weil er hübsch und lustig war. Er lernte von Anfang an schlecht und im Lauf der Jahre immer schlechter; trotzdem schloß er die Schule erfolgreich ab, denn er hatte Protektion. Im letzten Schuljahr fiel ihm eine Erbschaft zu, zweihundert Seelen , und da wir andern fast alle arm waren, prahlte er sogar vor uns mit seinem Reichtum. Er war ausgesprochen gewöhnlich, doch ein guter Junge, selbst dann, wenn er prahlte. Ungeachtet unserer äußerlichen, phrasenhaften und phantastischen Begriffe von Standesgefühl und Ehre lagen alle, ganz wenige ausgenommen, Swerkow zu Füßen, je mehr er prahlte. Und zwar nicht etwa aus Berechnung, sondern einfach so, weil er ein vom Schicksal favorisierter Mensch war. Zudem war es bei uns üblich, Swerkow für einen Spezialisten in allem zu halten, was Gewandtheit und gute Manieren betraf. Letzteres brachte mich besonders auf. Ich haßte seine scharfe, selbstsichere Stimme, die Bewunderung der eigenen Witze, die bei ihm schrecklich dumm ausfielen, obwohl er eine lockere Zunge hatte; ich haßte sein schönes, aber einfältiges Gesicht (gegen das ich übrigens mit Vergnügen mein kluges eingetauscht hätte) und seine lässigen Offiziersmanieren. Ich haßte es, wie er von seinen künftigen Erfolgen bei Frauen erzählte (er konnte sich nicht entschließen, Beziehungen zu Frauen anzuknüpfen, bevor er die Offiziersepauletten hatte, und sehnte sie heiß herbei) und von den bevorstehenden pausenlosen Duellen. Ich erinnere mich noch, wie ich, der immer schweigsam war, mich plötzlich auf ihn stürzte, als er gerade in einer Pause mit den Kameraden über die Weiber sprach und mit der selbstzufriedenen Verspieltheit eines jungen Köters erklärte, er werde kein einziges Bauernmädchen auf seinem Gut unbeachtet lassen, das sei droit de seigneur , die Bauern aber, falls sie sich erdreisten sollten zu protestieren, werde er alle durchpeitschen und von all diesen bärtigen Kanaillen doppelte Pacht fordern. Der Pöbel klatschte Beifall, ich aber stürzte mich auf ihn, durchaus nicht aus Mitleid mit den Mädchen oder deren Vätern, sondern einfach, weil so ein Kakerlak solchen Beifall fand. Ich behielt damals die Oberhand, doch Swerkow war zwar dumm, aber lustig und dreist, und so zog er sich mit Lachen aus der Affäre, und zwar so gut, daß ich, um bei der Wahrheit zu bleiben, denn doch nicht ganz die Oberhand behielt: das Lachen war auf seiner Seite. Später behielt er noch öfter die Oberhand, doch ohne Bosheit, irgendwie scherzend, im Vorbeigehen, lachend. Ich verharrte in grimmigem und verächtlichem Schweigen. Nach dem Ende der Schulzeit versuchte er eine Annäherung; ich sträubte mich nicht sonderlich, denn ich fühlte mich geschmeichelt; aber wir gingen bald und ganz von selbst auseinander. Dann hörte ich von seinen Kasernenleutnantserfolgen, von seinem flotten Leben . Dann hörte man wieder anderes – er werde im Dienst avancieren . Er grüßte mich schon nicht mehr auf der Straße, und ich vermutete, daß er fürchtete, durch die Bekanntschaft mit einer so unbedeutenden Persönlichkeit wie der meinen sich zu kompromittieren. Einmal sah ich ihn auch im Theater, im dritten Rang, bereits mit Achselschnüren. Er wand und schlängelte sich vor den Töchtern irgendeines uralten Generals. Nach drei Jahren etwa fing er an, sich sichtbar gehenzulassen, wenn er auch wie früher noch ziemlich schön und gewandt blieb; er sah aufgedunsen aus und setzte Speck an. Es war bereits zu erkennen, daß er in den Dreißigern vollends aus der Façon gehen würde. Also diesem endlich wegziehenden Swerkow beabsichtigten unsere Schulkameraden ein Abschiedsessen zu geben. Sie hatten in diesen drei
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