Aufzeichnungen aus dem Kellerloch: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)
literarisch mit ihnen redete. Denn von dem Ehrenstandpunkt – nicht von der Ehre, sondern eben vom Ehrenstandpunkt (point d’honneur) kann man ja bei uns überhaupt nicht anders als literarisch sprechen. In der Umgangssprache kommt ein ›Ehrenstandpunkt‹ nicht vor. Ich war vollkommen überzeugt (das war der Wirklichkeitssinn, ungeachtet aller Romantik!), daß sie alle einfach platzen würden vor Lachen, der Offizier mich aber nun nicht nur harmlos, das heißt nicht beleidigend, packen, sondern gewiß mit Fußtritten um das Billard herumtreiben und erst dann vielleicht sich meiner erbarmen und mich durch das Fenster hinauswerfen würde. Selbstverständlich konnte diese klägliche Geschichte für mich damit nicht abgetan sein. Ich traf diesen Offizier später häufig auf der Straße und habe ihn genau beobachtet. Nur weiß ich nicht, ob er mich auch erkannte, wahrscheinlich nicht; ich schließe das aus gewissen Anzeichen. Ich aber, ich starrte ihn mit Zorn und Haß an, und das dauerte … mehrere Jahre, jawohl! Mit der Zeit wurde mein Zorn sogar tiefer und nahm immer mehr zu. Zuerst bemühte ich mich in aller Heimlichkeit, Näheres über diesen Offizier in Erfahrung zu bringen. Das fiel mir sehr schwer, denn ich kannte doch keinen Menschen. Aber einmal, als ich ihm von ferne wie gebannt auf der Straße folgte, rief ihn irgend jemand beim Namen, und so erfuhr ich, wie er hieß. Ein andermal folgte ich ihm sogar bis zu seiner Wohnung und erfuhr hier für zehn Kopeken vom Hausknecht, wo er wohnte, in welchem Stock, allein oder mit anderen – mit einem Wort alles, was man von einem Hausknecht erfahren kann. Eines schönen Morgens, obgleich ich mich noch nie literarisch versucht hatte, kam mir plötzlich der Gedanke, diesen Offizier durch eine Beschreibung bloßzustellen, als Karikatur, in Form einer Novelle. Ich schrieb diese Novelle mit Genuß. Ich stellte ihn bloß, ich verleumdete sogar ein wenig; den Namen veränderte ich zuerst so, daß man ihn sofort wiedererkennen mußte, doch später, nach reiflicher Überlegung, veränderte ich ihn noch einmal und schickte das Manuskript an die »Vaterländischen Annalen« . Aber damals waren Bloßstellungen noch nicht Mode, und meine Novelle wurde nicht gedruckt. Das fand ich sehr ärgerlich. Zuweilen würgte die Wut mich geradezu. Endlich entschloß ich mich doch, meinen Gegner zu fordern. Ich verfaßte einen wundervollen, gewinnenden Brief, in dem ich ihn anflehte, sich bei mir zu entschuldigen; für den Fall einer Weigerung aber spielte ich mit ziemlicher Festigkeit auf ein Duell an. Der Brief war derart abgefaßt, daß der Offizier, sollte er nur ein wenig Sinn für das ›Schöne und Erhabene‹ besitzen, unverzüglich hätte zu mir eilen müssen, um mir um den Hals zu fallen und seine Freundschaft anzubieten. Wie schön wäre das geworden! Was wäre das für ein Leben gewesen! Was für ein Leben! ›Er hätte mich durch seine imponierende Haltung beschirmt; ich aber hätte ihn durch meine Bildung veredelt, nun, und … durch Ideen, und was hätte nicht alles sein können!‹ Stellen Sie sich vor, daß damals bereits zwei Jahre vergangen waren, seit er mich beleidigt hatte, und daß meine Forderung ein ganz ungereimter Anachronismus war, ungeachtet der Gewandtheit meines Briefes, die den Anachronismus erklären und übermalen sollte. Aber Gott sei Dank (bis auf den heutigen Tag danke ich dem Allmächtigen unter Tränen) habe ich diesen Brief nicht abgeschickt. Ein Schauer läuft mir über den Rücken, wenn ich mir vorstelle, was alles hätte entstehen können, hätte ich ihn abgeschickt. Und plötzlich … plötzlich rächte ich mich auf die allereinfachste, genialste Weise. Plötzlich kam mir die Erleuchtung. Manchmal, an Feiertagen, begab ich mich nachmittags zum Newskij-Prospekt und promenierte dort auf der Sonnenseite. Das heißt, ich promenierte dort durchaus nicht, sondern stand dort unzählige Qualen, Erniedrigungen und Verbitterungen aus; doch hatte ich wahrscheinlich gerade das nötig. Ich schlängelte mich wie ein Aal, ganz und gar unansehnlich, zwischen den Fußgängern hindurch und machte bald Generälen, bald Gardekavallerie- oder Husarenoffizieren, bald eleganten Damen Platz; in diesen Augenblicken fühlte ich einen schmerzhaften Krampf in meinem Herzen und Schauer im Rücken schon bei dem einzigen Gedanken an die Schäbigkeit meiner Kleider, an die Schäbigkeit und Trivialität meiner herumschleichenden Figur. Es war die peinlichste Pein, eine
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