Aufzeichnungen aus dem Kellerloch: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)
Ferfitschkin! Ich bin bereit, mich gleich morgen mit Ihnen zu duellieren, aber erst nach der Versöhnung. Ich bestehe sogar darauf, und Sie dürfen es mir nicht abschlagen. Ich werde Ihnen beweisen, daß ich das Duell nicht fürchte. Sie haben den ersten Schuß, ich aber werde in die Luft schießen.«
»Er spielt vor sich selbst Theater«, meinte Simonow.
»Einfach übergeschnappt«, bemerkte Trudoljubow.
»So lassen Sie mich doch bitte vorbei, Sie stehen ja im Weg … Was wünschen Sie?« antwortete Swerkow verächtlich. Sie hatten alle rote Gesichter; ihre Augen glänzten: sie hatten viel getrunken.
»Ich bitte um Ihre Freundschaft, Swerkow. Ich habe Sie beleidigt, aber …«
»Beleidigt? Siiie! Miiich! Merken Sie sich, mein Verehrtester, daß Sie mich niemals und unter keinen Umständen beleidigen können!«
»Jetzt aber genug! Fort!« bekräftigte Trudoljubow. »Fahren wir.«
»Olympia gehört mir, meine Herren, abgemacht!« rief Swerkow.
»Einverstanden! Einverstanden!« antworteten sie lachend.
Ich stand da wie angespuckt. Die Bande verließ lärmend das Zimmer, Trudoljubow stimmte irgendein albernes Lied an. Simonow blieb einen Augenblick zurück, um den Kellnern das Trinkgeld zu geben. Plötzlich trat ich auf ihn zu.
»Simonow! Geben Sie mir sechs Rubel!« sagte ich entschlossen und verzweifelt.
Er sah mich über die Maßen verwundert und irgendwie stumpfsinnig an. Er war ebenfalls betrunken.
»Ja, wollen Sie etwa auch mit?«
»Ja!«
»Ich habe kein Geld«, versetzte er kurz, lächelte verächtlich und wollte schon das Zimmer verlassen. Ich hielt ihn am Rock fest. Es war ein Alpdruck.
»Simonow! Ich habe bei Ihnen Geld gesehen, warum schlagen Sie es mir ab? Bin ich denn ein Schuft? Hüten Sie sich, es mir abzuschlagen. Wenn Sie wüßten, wenn Sie nur wüßten, weshalb ich darum bitte! Alles hängt davon ab, meine ganze Zukunft, alle meine Pläne …«
Simonow holte das Geld heraus und warf es mir beinahe ins Gesicht.
»Nehmen Sie, wenn Sie schon so unverschämt sind!« sagte er mitleidlos und eilte den anderen nach.
Für einen Augenblick blieb ich allein zurück. Unordnung, Speisereste, ein zerschlagenes Glas auf dem Fußboden, verschütteter Wein, Zigarettenstummel, Rausch und Fieber im Kopf, quälender Schmerz in der Seele; und dann der Kellner, der alles gesehen, alles gehört hatte und mir neugierig in die Augen blickte.
»Dorthin!« rief ich aus. »Entweder sie werden alle auf Knien liegen, mir zu Füßen, und um meine Freundschaft betteln oder … oder ich gebe Swerkow eine Ohrfeige!«
V
“So sieht er aus, so sieht er aus, dieser Zusammenstoß mit der Wirklichkeit!” murmelte ich, während ich Hals über Kopf die Treppe hinunterlief. “Das ist nicht mehr der Papst, der Rom aufgibt und nach Brasilien auswandert, das ist nicht mehr der Ball am Comer See!”
“Du bist ein Schuft”, fuhr es mir durch den Kopf, “wenn du jetzt darüber spottest.”
“Und wenn!” gab ich mir selbst zur Antwort. “Jetzt ist sowieso alles verloren.”
Von ihnen war nichts mehr zu sehen; aber das machte nichts; ich wußte, wohin sie fuhren.
Vor dem Eingang stand ein einsamer Schlitten, ein Nachtkutscher im groben Bauernmantel, ganz eingeschneit von den noch immer dicht fallenden nassen und gleichsam warmen Flocken. Die Luft war dunstig und drückend. Sein kleiner zottiger Schecke war auch eingeschneit und hustete. Daran erinnere ich mich genau. Ich stürzte auf den Schlitten zu; aber kaum hatte ich den Fuß gehoben, um einzusteigen, als mich plötzlich die Erinnerung, wie Simonow mir eben die sechs Rubel gegeben hatte, umwarf und ich wie ein Sack in den Schlitten fiel.
»Nein, ich muß viel tun, um das alles wieder gutzumachen!« rief ich aus. »Aber ich werde es gutmachen oder diese Nacht nicht überleben. Fahr zu!«
Wir fuhren los. Die Kutsche setzte sich in Bewegung. Ein Wirbelsturm raste in meinem Kopf. “Sie werden niemals auf Knien um meine Freundschaft betteln. Das ist ja eine Fata Morgana, eine triviale Fata Morgana, widerwärtig, romantisch und phantastisch; das ist wieder der Ball am Comer See. Darum muß ich Swerkow eine Ohrfeige geben. Ich bin dazu verpflichtet. Also das steht fest: jetzt eile ich hin, um ihm eine Ohrfeige zu geben. Fahr zu!”
Der Kutscher zog die Zügel an.
“Sowie ich drin bin, gebe ich sie ihm. Soll man vor einer Ohrfeige etwas sagen, gewissermaßen als Vorwort? Nein! Ich werde einfach reinkommen und sie ihm geben. Sie werden alle im Salon sitzen, er
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