Aufzeichnungen aus dem Kellerloch: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)
hol’ sie der Teufel!
Ich betrachtete sie der Reihe nach herausfordernd mit glasigen Augen. Sie hatten mich überhaupt vergessen. Bei ihnen ging es laut, lärmend und fröhlich zu. Swerkow führte das große Wort. Ich spitzte die Ohren. Swerkow erzählte von irgendeiner üppigen Dame, die er zu guter Letzt so weit gebracht haben wollte, daß sie ihm eine Liebeserklärung machte (natürlich log er wie gedruckt), und wie ihm in dieser Affäre sein intimer Freund, irgendein Fürstchen, der Husarenoffizier Kolja, der dreitausend Leibeigene besitzen sollte, besonders hilfreich gewesen wäre.
»Indessen ist dieser Kolja, der dreitausend Seelen besitzt, eigentümlicherweise nicht hier, um Ihren Abschied zu feiern«, mischte ich mich plötzlich in das Gespräch.
Alle verstummten für einen Augenblick.
»Sie sind ja schon betrunken«, Trudoljubow war endlich bereit, mich zu bemerken, und schielte verächtlich herüber. Swerkow musterte mich schweigend wie ein winziges Insekt. Ich senkte den Blick. Simonow beeilte sich, Champagner einzuschenken.
Trudoljubow erhob das Glas, seinem Beispiel folgten alle außer mir.
»Auf dein Wohl und Glück auf den Weg!« rief er Swerkow zu, »auf unsere Vergangenheit, meine Herren, auf unsere Zukunft, hurra!«
Alle tranken und schickten sich an, Swerkow zu küssen. Ich rührte mich nicht. Das volle Glas stand unberührt vor mir.
»Wollen Sie etwa nicht trinken?« brüllte Trudoljubow, der schließlich die Geduld verlor, und wandte sich drohend zu mir.
»Ich möchte meinerseits auch einen Speech halten, einen speziellen … und dann trinken, Herr Trudoljubow.«
»Widerlicher Giftpilz!« murmelte Simonow.
Ich richtete mich auf meinem Stuhl auf, hob das Glas wie im Fieber und bereitete mich auf etwas Außerordentliches vor, ohne selbst zu wissen, was ich eigentlich sagen wollte.
»Silence«, rief Ferfitschkin. »Jetzt kommt der Verstand!«
Swerkow blieb sehr ernst, denn er begriff, worum es ging.
»Herr Leutnant Swerkow«, begann ich, »Sie müssen wissen, ich hasse Phrasen, Phraseure und betonte Taillen … Das ist Punkt eins. Und hierauf folgt Punkt zwei.«
Man wurde unruhig.
»Punkt zwei: Ich hasse Erdbeeren und Erdbeergenießer , besonders die letzteren! Punkt drei: Ich liebe Wahrheit, Aufrichtigkeit und Ehrlichkeit«, fuhr ich fast mechanisch fort, denn ich erstarrte selbst vor Entsetzen, ohne begreifen zu können, wie ich das alles hervorbrachte.
»Ich liebe Ideen, Monsieur Swerkow, ich liebe wahre Kameradschaft, auf gleichem Fuß, ohne … hm … Ich liebe … Aber warum auch nicht? Auch ich werde auf Ihr Wohl trinken, Monsieur Swerkow. Verführen Sie Tscherkessinnen, schießen Sie auf die Feinde des Vaterlandes und … und … auf Ihr Wohl, Monsieur Swerkow!«
Swerkow erhob sich von seinem Stuhl, verbeugte sich und sagte: »Sehr verbunden.«
Er war furchtbar gekränkt und sogar blaß geworden.
»Verdammt!« brüllte Trudoljubow und schlug mit der Faust auf den Tisch.
»Nein, dafür kriegt man doch eins in die Fresse!« kreischte Ferfitschkin.
»Einfach rausschmeißen!« murmelte Simonow.
»Kein Wort, meine Herren, keine Bewegung!« rief Swerkow feierlich, der allgemeinen Empörung Einhalt gebietend. »Ich danke Ihnen allen, aber ich werde selbst imstande sein, ihm zu beweisen, wie sehr ich seine Worte schätze.«
»Herr Ferfitschkin, morgen schon werden Sie mir für Ihre Worte Satisfaktion geben!« sagte ich laut und wandte mich gravitätisch Ferfitschkin zu.
»Sie meinen ein Duell? Ganz nach Belieben!« antwortete jener, doch muß ich in dem Augenblick, als ich ihn forderte, wahrscheinlich so komisch gewirkt haben, die große Geste stand mir so wenig, daß alle, und endlich auch Ferfitschkin, in schallendes Gelächter ausbrachen.
»Aber selbstverständlich soll man ihn lassen! Er ist ja total besoffen!« sagte Trudoljubow angeekelt.
»Nie werde ich mir verzeihen, daß ich ihn eingetragen habe«, murmelte wieder Simonow.
“Jetzt sollte man ihnen allen eine Flasche an den Kopf werfen”, dachte ich, griff nach der Flasche und … schenkte mir das Glas bis zum Rand voll.
“Nein, lieber werde ich bis zum Schluß ausharren!” dachte ich weiter, “Sie wären hocherfreut, meine Herren, wenn ich jetzt ginge. Um keinen Preis. Ihnen zum Trotz werde ich bis zum Schluß bleiben und bis zum Schluß trinken, zum Zeichen, daß ich Ihnen nicht die geringste Wichtigkeit beimesse. Ich werde sitzen und trinken, denn wir sind in einer Kneipe, und ich habe meine
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