Aufzeichnungen aus dem Kellerloch: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)
Zeche bezahlt. Ich werde sitzen und trinken, weil ich euch alle für Nullen halte, für nichtexistierende Nullen. Ich werde sitzen und trinken … und singen, wenn es mir einfällt, jawohl, auch singen, denn ich habe das Recht … zu singen …!”
Aber ich habe nicht gesungen. Ich bemühte mich bloß, keinen von ihnen anzusehen. Ich nahm die unabhängigsten Posen an und wartete ungeduldig darauf, daß sie, sie zuerst , mich wieder ansprechen würden. Aber ach, sie taten es nicht. Und wie sehr, wie sehr wünschte ich in diesem Augenblick, mich mit ihnen zu versöhnen. Es schlug acht, schließlich schlug es neun. Man wechselte vom Tisch auf das Sofa. Swerkow streckte sich aus, wobei er einen Fuß auf ein kleines rundes Tischchen legte. Die Weinflaschen wurden mitgenommen. Er spendierte tatsächlich drei Flaschen. Mir wurde selbstverständlich nichts angeboten. Die anderen umringten ihn, sie hörten ihm beinahe andächtig zu. Man sah ihnen an, daß sie ihn liebten. “Wofür? Wofür?” dachte ich bei mir. Zuweilen gerieten sie in trunkene Begeisterung und küßten einander. Sie sprachen vom Kaukasus, von wahrer Leidenschaft, vom Kartenspiel, über aussichtsreiche Posten, von den Einkünften des Husarenoffiziers Podcharschewskij – den keiner von ihnen persönlich kannte –, und sie freuten sich über seine großen Einkünfte; von der ungewöhnlichen Schönheit und Anmut der Fürstin D., die gleichfalls keiner von ihnen je gesehen hatte; und schließlich kam es soweit, daß Shakespeare für unsterblich erklärt wurde.
Ich lächelte verächtlich vor mich hin und ging in der anderen Hälfte des Zimmers auf und ab, direkt dem Sofa gegenüber, die Wand entlang, vom Tisch bis zum Ofen und zurück. Mit allen Kräften bemühte ich mich zu beweisen, daß ich auch ohne sie auskommen könne; unterdessen aber polterte ich absichtlich mit den Stiefeln, hart mit den Absätzen auftretend. Aber alles war vergeblich. Sie schenkten mir nicht die geringste Beachtung. Ich besaß die Ausdauer, so, direkt vor ihnen, von acht bis elf Uhr auf und ab zu gehen, immer denselben Weg, vom Tisch bis zum Ofen und vom Ofen wieder zurück zum Tisch. “Ganz einfach, ich gehe auf und ab, und niemand kann es mir verbieten.” Der Kellner, der uns bediente, blieb einige Male stehen, um mich verwundert zu betrachten: vom häufigen Umkehren wurde mir schwindlig; zuweilen schien es mir, als hätte ich Fieber. In diesen drei Stunden geriet ich dreimal in Schweiß und wurde wieder trocken. Ab und zu durchfuhr mich mit tiefstem, mit giftigem Schmerz der Gedanke, daß ich auch nach zehn Jahren, nach zwanzig Jahren, nach vierzig Jahren, daß ich selbst noch nach vierzig Jahren mit Abscheu und Selbstverachtung mich an diese schmutzigsten, lächerlichsten und fürchterlichsten Augenblicke meines ganzen Lebens erinnern würde. Man hätte sich nicht gewissenloser und bereitwilliger selbst erniedrigen können, ich sah das vollkommen ein und fuhr dennoch fort, zwischen Tisch und Ofen hin und her zu pendeln.
“Oh, wenn ihr nur wüßtet, welcher Gefühle und welcher Gedanken ich fähig, wie hoch ich entwickelt bin!” dachte ich zuweilen und wandte mich in Gedanken an das Sofa, auf dem meine Feinde saßen. Aber meine Feinde taten, als gäbe es mich überhaupt nicht. Einmal, ein einziges Mal blickten sie sich nach mir um, nämlich als Swerkow von Shakespeare anfing, ich aber plötzlich höhnisch auflachte. Ich lachte so gewollt und gemein, daß sie auf einmal alle verstummten und beinahe zwei Minuten lang schweigend, ernst, ohne zu lachen, zusahen, wie ich die Wand entlangwanderte, zwischen Tisch und Ofen, und wie ich sie überhaupt nicht beachtete . Aber es ist zu nichts gekommen: sie sprachen mich nicht an, und zwei Minuten später war ich für sie wieder nicht mehr da. Es schlug elf.
»Meine Herren!« rief Swerkow, sich vom Sofa erhebend. »Und jetzt alle dorthin .«
»Aber klar, aber klar!« schrien die anderen.
Ich drehte mich hastig um und trat auf Swerkow zu. Ich war dermaßen zerquält, dermaßen zermartert, daß ich, koste es auch mein Leben, auf irgendeine Weise Schluß machen wollte. Ich fieberte; die Haare klebten an Stirn und Schläfen.
»Swerkow! Ich bitte Sie um Verzeihung«, sagte ich schroff und entschlossen. »Ferfitschkin, Sie auch, und alle, alle. Ich habe alle beleidigt!«
»Aha! Das Duellieren scheint nicht so einfach zu sein!« zischte Ferfitschkin giftig.
Das schnitt mir ins Herz.
»Nein, ich habe keine Angst vor dem Duell,
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