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Aufzeichnungen aus dem Kellerloch: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Aufzeichnungen aus dem Kellerloch: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Aufzeichnungen aus dem Kellerloch: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fjodor M. Dostojewskij
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überraschend hastiger Schlag – ganz als dränge sich jemand vor. Es schlug zwei. Ich kam zu mir, wenn ich auch vorher nicht geschlafen, sondern nur vor mich hingedämmert hatte.
    In diesem Zimmer, schmal, eng und niedrig, von einem riesigen Kleiderschrank ausgefüllt und mit Schachteln, Lumpen und alten Kleidern vollgestopft, war es fast ganz dunkel. Der Kerzenstumpf, der auf einem Tisch am anderen Ende des Zimmers brannte, drohte schon auszulöschen und flackerte nur ab und zu auf. Nach wenigen Minuten mußte vollkommenes Dunkel herrschen.
    Es dauerte nicht lange, bis ich ganz zu mir kam; mit einemmal, ohne mein Zutun, fiel mir sofort alles ein, als ob es nur gelauert hätte, um mich plötzlich wieder zu überfallen. Ja, selbst im Dahindämmern war in meinem Gedächtnis irgendein Punkt geblieben, der sich durchaus nicht vergessen ließ, um den meine Träume sich lastend bewegten. Aber sonderbar: alles, was mit mir an diesem Tage geschehen war, schien mir jetzt beim Erwachen lange, lange vergangen zu sein, als ob ich das alles schon längst, längst überstanden hätte.
    Mein Kopf war benommen. Irgend etwas schwebte über mir und beunruhigte mich, erregte und verstimmte. Sehnsucht und Galle wallten wieder auf und suchten einen Ausweg. Plötzlich, dicht neben mir, sah ich zwei offene Augen, die mich neugierig und beharrlich betrachteten. Der Blick war kalt und teilnahmslos, düster und so völlig fremd – es wurde einem schwer ums Herz.
    Ein düsterer Gedanke entstand in meinem Kopf und durchzuckte den ganzen Körper als scheußliches Gefühl, wie etwa jenes, das einen überkommt, wenn man in einen Keller steigt, der feucht und dumpf ist. Es war irgendwie unnatürlich, daß es diesen zwei Augen jetzt erst einfiel, mich zu betrachten. Es kam mir in den Sinn, daß ich in den ganzen zwei Stunden mit diesem Wesen kein einziges Wort gewechselt und das auch gar nicht für nötig gehalten hatte; aus irgendeinem Grund hatte mir das Schweigen vorhin sogar gefallen. Jetzt jedoch erkannte ich deutlich die Idee des Lasters, widersinnig, scheußlich wie eine Spinne, das ohne Liebe, roh und schamlos damit beginnt, womit wahre Liebe sich krönt. Lange sahen wir uns an, aber sie senkte ihre Augen nicht und veränderte auch nicht ihren Blick, so daß es mir schließlich aus irgendeinem Grunde unheimlich wurde.
    »Wie heißt du?« fragte ich kurz, um schneller ein Ende zu machen.
    »Lisa«, antwortete sie fast flüsternd, aber seltsam unfreundlich, und wandte die Augen ab.
    Ich schwieg eine Weile.
    »Das Wetter heute … Schnee … scheußlich!« sagte ich wie vor mich hin, schob gelangweilt die Hand unter den Kopf und blickte zur Decke hinauf.
    Sie antwortete nicht. Abscheulich war das alles.
    »Bist du von hier?« fragte ich nach einer Minute beinahe ärgerlich und wandte mich ein wenig ihr zu.
    »Nein.«
    »Woher?«
    »Aus Riga«, sagte sie unwillig.
    »Deutsche?«
    »Russin.«
    »Bist du schon lange hier?«
    »Wo?«
    »Hier im Haus?«
    »Zwei Wochen.«
    Sie antwortete immer schroffer und schroffer. Die Kerze war erloschen; ich konnte ihr Gesicht nicht mehr erkennen.
    »Hast du Vater und Mutter?«
    »Ja … nein … doch.«
    »Wo sind sie?«
    »Dort … in Riga.«
    »Was sind sie?«
    »So …«
    »Was heißt: so? Was sind sie, von welchem Stande?«
    »Kleinbürger.«
    »Hast du immer bei ihnen gelebt?«
    »Ja.«
    »Wie alt bist du?«
    »Zwanzig.«
    »Warum bist du denn von ihnen weggegangen?«
    »So …«
    Dieses so bedeutete: laß mich, du bist mir zuwider. Wir verstummten.
    Gott weiß, warum ich blieb. Es wurde mir immer schwerer und elender zumute. Die Bilder des vergangenen Tages begannen irgendwie von selbst, ohne mein Zutun, wirr durch mein Gedächtnis zu ziehen. Plötzlich fiel mir die Szene ein, die ich am Morgen, als ich in Gedanken versunken zur Kanzlei trabte, auf der Straße beobachtet hatte.
    »Heute wurde ein Sarg hinausgetragen, und beinahe haben sie ihn fallen lassen«, sagte ich plötzlich, ohne jede Absicht, ein Gespräch zu beginnen, sondern nur so, beinahe unwillkürlich.
    »Den Sarg?«
    »Ja, auf der Sennaja; aus einem Keller.«
    »Aus einem Keller?«
    »Nicht aus dem Keller, sondern aus der Kellerwohnung: du weißt schon … dort unten … aus dem liederlichen Haus … Dreckig war es überall … Eierschalen, Kehricht … Gestank … Widerlich.«
    Schweigen.
    »Heute ist schlecht beerdigen!« begann ich von neuem, nur um nicht schweigen zu müssen.
    »Wieso schlecht?«
    »Schnee,

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