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Aufzeichnungen aus dem Kellerloch: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Aufzeichnungen aus dem Kellerloch: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Aufzeichnungen aus dem Kellerloch: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fjodor M. Dostojewskij
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abzufeuern und … und ich vergebe dir.› Nach diesen Worten werde ich einfach in die Luft schießen und spurlos verschwinden …”
    Mir kamen sogar Tränen, obwohl ich ganz genau wußte, im selben Augenblick, daß das alles aus Silvio und »Der Maskenball« von Lermontow war. Und plötzlich schämte ich mich furchtbar, ich schämte mich dermaßen, daß ich das Pferd anhalten ließ, aus dem Schlitten stieg und mitten auf der Straße im Schnee stehen blieb. Der Kutscher sah mich verwundert an und seufzte.
    Was sollte ich tun? Ich konnte unmöglich dorthin – das war Unsinn – aber ebensowenig die Sache auf sich beruhen lassen, denn dann würde … »Herrgott! Wie könnte man so etwas auf sich beruhen lassen? Nach solchen Beleidigungen! Nein!« rief ich aus und warf mich wieder in den Schlitten, »das ist vorbestimmt, das ist Schicksal! Fahr zu, fahr zu, dorthin!«
    Und vor Ungeduld hieb ich dem Kutscher mit der Faust ins Genick.
    »Was hast du, warum schlägst du mich?« schrie das Bäuerlein erschrocken, peitschte jedoch auf seine Mähre los, so daß sie mit den Hinterbeinen ausschlug.
    Der nasse Schnee fiel in dichten großen Flocken; ich machte den Mantel auf, ich kümmerte mich nicht um den Schnee. Ich vergaß alles, weil ich mich endgültig zu der Ohrfeige entschlossen hatte und mit Grauen fühlte, daß es nun unbedingt, sofort geschehen würde, daß es sich durch keine Macht mehr aufhalten ließ . Einsame Laternen zogen düster in der schneeerfüllten Dunkelheit vorüber, wie Begräbnisfackeln. Der Schnee drang unter meinen Mantel, unter den Rock, unter das Halstuch und schmolz dort; ich machte meinen Mantel nicht zu: es war ja ohnedies alles verloren! Endlich kamen wir an. Fast besinnungslos sprang ich aus dem Schlitten, lief die Stufen hinauf und klopfte mit Händen und Füßen an die Tür. Ich wurde entsetzlich schwach, besonders in den Beinen, in den Knien. Es wurde auffallend schnell geöffnet, als hätte man mich erwartet. (Simonow hatte in der Tat angekündigt, daß vielleicht noch jemand kommen würde, denn hier mußte man sich anmelden und überhaupt Vorsicht beobachten. Es war einer der damaligen ›Modesalons‹, die jetzt längst von der Polizei geschlossen worden sind. Tagsüber war hier wirklich ein Modegeschäft; abends jedoch wurden Herren empfangen, auf besondere Empfehlung.) Mit raschen Schritten ging ich durch den unbeleuchteten Laden in den mir wohlbekannten Saal, wo nur eine einzige Kerze brannte, und blieb überrascht stehen: es war niemand da.
    »Wo sind sie denn?« fragte ich irgend jemand.
    Selbstverständlich waren sie bereits auf die Zimmer gegangen …
    Vor mir stand eine töricht lächelnde Person, es war die Wirtin selbst, die mich bereits kannte. Einen Augenblick später ging eine Tür, und eine andere Person trat ein.
    Ohne irgend etwas zu beachten, lief ich im Raum auf und ab und redete, glaube ich, laut mit mir selber. Es war mir, als sei ich vom Tode errettet, ich fühlte es freudig mit meiner ganzen Seele: denn ich hätte ihn geohrfeigt, ich hätte ihn unbedingt geohrfeigt! Doch jetzt waren sie fort und … alles war verflogen, alles war verändert! … Ich blickte immer wieder umher. Ich konnte noch nicht recht begreifen. Mechanisch sah ich das eintretende Mädchen an: ein frisches junges, etwas blasses Gesicht tauchte vor mir auf, mit geraden dunklen Augenbrauen, mit ernstem und fast ein wenig verwundertem Blick. Das gefiel mir sofort; ich hätte sie gehaßt, wenn sie gelächelt hätte. Ich begann, sie aufmerksamer, gleichsam angestrengt, zu betrachten: ich hatte meine Gedanken noch immer nicht beisammen. Etwas Treuherziges und Gutes lag in diesem Gesicht, doch war es geradezu seltsam ernst. Ich bin überzeugt, daß das hier als Mangel galt und daß sie keinem von diesen Tölpeln gefallen hätte. Übrigens war sie nicht gerade eine Schönheit, wenn auch groß, kräftig und gut gebaut. Sie war äußerst schlicht gekleidet. Etwas Häßliches stach mich; ich trat direkt auf sie zu.
    Zufällig sah ich mich in einem Spiegel. Mein erregtes Gesicht erschien mir ganz besonders ekelhaft: bleich, böse, gemein, mit wirrem Haar. “Das macht nichts, um so besser”, dachte ich; “es freut mich gerade, daß ich ihr ekelhaft erscheinen muß; das ist mir angenehm …”

VI
    … Irgendwo hinter der Zwischenwand begann plötzlich wie gewürgt, wie in Atemnot, eine Uhr heiser zu ächzen. Dem widernatürlich langen Ächzen folgte ein dünner, abscheulicher und irgendwie

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