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Aufzeichnungen aus dem Kellerloch: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Aufzeichnungen aus dem Kellerloch: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Aufzeichnungen aus dem Kellerloch: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fjodor M. Dostojewskij
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nasser Schnee – sollte man denn deinetwegen Umstände machen? ›Runter mit ihr, Wanka; siehst du – auch hier streckt sie noch die Beine hoch, so eine war das. Zieh den Strick an, du Gauner.‹ – ›Ist schon recht.‹ – ›Wieso recht? Siehst du denn nicht, daß sie auf der Seite liegt? Immerhin ist sie doch auch ein Mensch gewesen, oder nicht? Ist schon recht, schütt zu.‹ Deinetwegen lohnt es sich nicht zu streiten. Eilig schütten sie das Grab mit nassem, blauem Lehm zu und gehen in die Schenke … Und damit hat die Erinnerung an dich auf Erden ein Ende; andere Gräber werden von den Kindern, den Vätern oder Gatten besucht, über dir aber – keine Träne, kein Seufzer, keine Erinnerung, und niemand, niemand auf der ganzen Welt wird je an dein Grab kommen; dein Name verschwindet auf ewig vom Angesicht der Erde, als ob es dich nie gegeben hätte, als ob du nie geboren wärest! Schlamm und Sumpf, und es bleibt dir nichts anderes übrig, als nachts, wenn die Toten sich erheben, gegen den Sargdeckel zu klopfen und zu rufen: ›Laßt mich noch einmal leben, ihr guten Menschen! Ich lebte – ohne das Leben zu kennen, mein Leben wurde zu einem Wischlumpen gemacht; in einer Schenke auf der Sennaja wurde es versoffen, laßt mich, ihr guten Menschen, noch einmal leben!‹«
    Ich geriet in Pathos, so sehr, daß ich einen Weinkrampf nahen spürte und … plötzlich hielt ich inne, erhob mich erschrocken und horchte mit ängstlich eingezogenem Kopf und pochendem Herzen. Ich hatte wahrlich genügend Grund, verlegen zu werden.
    Schon lange hatte ich gespürt, daß ich ihre ganze Seele aufgewühlt und ihr Herz zerbrochen hatte; und je mehr ich mich davon überzeugte, desto mehr drängte es mich, so schnell wie möglich und so stark wie möglich das Ziel zu erreichen. Das Spiel, das Spiel riß mich mit. Übrigens war es nicht nur Spiel …
    Ich wußte, daß ich gespreizt und steif gesprochen hatte, mit einem Wort, ›literarisch‹, ich konnte ja gar nicht anders sprechen als eben ›wie nach dem Buch‹. Das aber störte mich nicht: ich wußte, ich ahnte, daß ich verstanden wurde und daß dieses Literarische die Wirkung womöglich noch steigerte. Jetzt aber, angesichts des Erfolges, bekam ich plötzlich Angst. Nein, niemals, niemals war ich Zeuge einer solchen Verzweiflung gewesen! Sie hatte das Gesicht tief in die Kissen vergraben, die sie mit beiden Händen umklammert hielt. Ihre Brust drohte zu zerspringen. Der ganze junge Körper bebte und zuckte wie in Krämpfen. Das unterdrückte Schluchzen ballte sich in ihrer Brust, würgte sie und brach in Schreien und Stöhnen aus ihr heraus. Dann preßte sie sich noch fester an das Kissen: sie wollte vermeiden, daß irgend jemand hier in diesem Hause, auch nicht eine einzige Seele, von ihren Qualen und ihren Tränen erführe. Sie biß in das Kissen, sie biß sich die Hand blutig (das sah ich später), sie krallte die Finger in ihre aufgelösten Zöpfe und erstarb förmlich, mit angehaltenem Atem und zusammengebissenen Zähnen. Ich begann auf sie einzureden, ich bat sie, sich zu beruhigen, doch schon fühlte ich, daß ich es nicht durfte, stürzte plötzlich, selbst fiebernd, beinahe von Sinnen aus dem Bett und begann hastig, meine Sachen tastend zusammenzusuchen. Es war vollkommen dunkel: wie sehr ich mich auch bemühte, es dauerte mir viel zu lange. Plötzlich hatte ich eine Streichholzschachtel und einen Leuchter mit einer neuen, noch nicht angebrannten Kerze. Kaum flackerte die Kerze auf, erhob sich Lisa plötzlich, setzte sich hin und starrte mich an, mit verzerrtem Gesicht, verstört lächelnd, wie von Sinnen. Ich setzte mich neben sie und ergriff ihre Hände; sie kam zu sich, wandte sich mir heftig zu, als wollte sie mich umarmen, doch wagte sie es nicht und senkte still den Kopf.
    »Lisa, meine Freundin, ich durfte nicht … vergib mir«, begann ich, sie aber preßte meine Hände so stark mit ihren Fingern, daß ich erriet, wie unpassend meine Worte waren, und verstummte.
    »Hier ist meine Adresse, Lisa, du sollst zu mir kommen.«
    »Ich werde kommen …«, flüsterte sie entschlossen, immer noch ohne aufzublicken.
    »Und jetzt werde ich gehen, leb wohl … auf Wiedersehen.«
    Ich erhob mich, und auch sie stand auf, wurde plötzlich über und über rot, fuhr zusammen, griff nach einem auf dem Stuhl liegenden Schal, warf ihn über die Schultern und hüllte sich bis zum Kinn ein. Dann lächelte sie wieder schmerzlich, errötete und sah mich mit einem

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