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Aufzeichnungen aus dem Kellerloch: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Aufzeichnungen aus dem Kellerloch: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Aufzeichnungen aus dem Kellerloch: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fjodor M. Dostojewskij
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einander lieben. Und was für ein Streit auch zwischen ihnen ausbrechen mag – selbst die leibliche Mutter, selbst die, dürfen sie nicht als Richter anrufen, noch darf der eine über den anderen etwas erzählen. Sie sind ihre eigenen Richter. Die Liebe ist ein göttliches Geheimnis und muß vor dem fremden Auge verborgen bleiben, was auch immer geschehen mag. Reiner wird sie dadurch, schöner, man achtet sich dann gegenseitig mehr, auf der Achtung aber beruht vieles. Und wenn sie einander liebten, wenn sie aus Liebe geheiratet haben, wie soll dann die Liebe vergehen? Kann man sie denn wirklich nicht erhalten? Nur selten kommt es vor, daß man sie nicht erhalten kann. Wenn aber der Gatte ein guter und ehrlicher Mensch ist, warum soll dann die Liebe vergehen? Die erste eheliche Liebe geht vorüber, das ist wahr, dann aber kommt eine noch schönere Liebe. Dann verschmelzen die Seelen, alles wird gemeinsam beschlossen, kein Geheimnis hat man voreinander. Und kommen erst die Kinder, so scheint jede, selbst die schwerste Zeit, voller Glück; man braucht nur zu lieben und tapfer zu sein. Dann ist auch die Arbeit eine Freude, dann versagt man sich manchen Bissen Brot der Kinder wegen, und auch das tut man gern. Werden sie doch später dafür dich lieben; folglich sparst du für dich selbst. Die Kinder wachsen heran, du fühlst, daß du ihnen ein Beispiel, eine Stütze bist; selbst nach deinem Tode werden sie ihr Leben lang deine Gefühle, deine Gedanken in sich tragen, die sie von dir erhalten haben, sie werden von deiner Art, dein Ebenbild sein. Folglich ist das eine hohe Pflicht. Wie sollten sich Vater und Mutter dabei nicht noch näherkommen? Man sagt, Kinder haben sei schwer? Wie kann man das nur sagen! Das ist doch ein Himmelsglück! Liebst du kleine Kinder, Lisa? Ich liebe sie schrecklich. Weißt du, so ein rosiges Knäblein an deiner Brust, welch eines Mannes Herz könnte sich von seiner Frau abwenden, wenn er sieht, wie sie sein Kind nährt! Das Kindchen rosig, rundlich, es reckt und streckt sich; die Beinchen, die Händchen sind voller Grübchen, die Nägelchen sauber, winzig, so winzig, daß es zum Lachen ist; die Augen aber schon ganz verständig. Und wenn es trinkt, so liebkost es mit seinem Händchen deine Brust und spielt. Tritt der Vater heran, reißt es sich los von der Brust, biegt sich zurück, guckt ihn an, lacht, ganz als ob es Gott weiß wie lustig wäre – und wieder, wieder geht es ans Trinken. Mitunter beißt es in die Brust, wenn die Zähnchen kommen, schielt aber mit seinen Äuglein nach der Mutter: ›Siehst du, ich habe gebissen!‹ Ist denn das nicht das reinste Glück, wenn die drei beisammen sind, Mann, Weib und Kind? Für solche Augenblicke kann man vieles verzeihen. Nein, Lisa, zuerst muß man selbst leben lernen, und dann erst darf man andere beschuldigen!«
    “Mit Bildern, gerade mit solchen Bildern muß man dir kommen!” dachte ich im stillen, obwohl ich bei Gott mit Gefühl gesprochen hatte, und errötete plötzlich: “Und wenn sie jetzt lacht, was dann?” Dieser Gedanke machte mich rasend. Gegen Schluß meiner Rede war ich wirklich in Feuer geraten und war jetzt in meinem Ehrgeiz gewissermaßen getroffen. Das Schweigen dauerte an. Ich wollte sie schon anstoßen.
    »Aber, Sie …«, begann sie plötzlich und stockte.
    Doch ich hatte schon alles begriffen: in ihrer Stimme zitterte bereits etwas anderes, nicht das Schroffe, Rauhe und Unansprechbare wie vorher, sondern etwas Weiches und Verschämtes, dermaßen Verschämtes, daß ich mich plötzlich selbst vor ihr schämte und mich vor ihr schuldig fühlte.
    »Was denn?« fragte ich mit zarter Neugier.
    »Aber Sie …«
    »Was denn?«
    »Aber Sie sprechen … genau wie nach dem Buch«, sagte sie, und plötzlich glaubte ich wieder etwas Spöttisches in ihrer Stimme zu hören.
    Diese Bemerkung versetzte mir einen schmerzhaften Stich. Ich hatte etwas anderes erwartet.
    Ich hatte nicht begriffen, daß sie sich absichtlich hinter dem Spott versteckte, daß dies gewöhnlich der letzte Zug aller verschämten und in ihrem Herzen keuschen Menschen ist, wenn man ihre Seele roh und aufdringlich bestürmt, die bis zum letzten Augenblick aus Stolz sich nicht ergeben und fürchten, ihr Gefühl zu zeigen. Schon aus der Schüchternheit, mit der sie nach mehreren Ansätzen ihren Spott endlich vorbrachte, hätte ich alles erraten müssen. Ich aber erriet nichts, und ein ungutes Gefühl stieg in mir auf.
    “Warte nur”, dachte ich.

VII
    »Hör

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