Aufzeichnungen eines Außenseiters
Büro, der Plattenspieler lief auf Hochtouren, Neal quollen die Augen aus dem Kopf, er kroch förmlich in den Lautsprecher rein, er swingte, hechelte und stampfte, er hatte
* Hauptfigur in Kerouacs Roman »On the road«.
ein weißes T-shirt an, auf dem überall die Schweißflecken durchbrachen, er ging mit der Musik mit, dem Beat immer um einen Schatten voraus. Ich setzte mich hin mit meinem Bier in der Hand und sah ihm zu. Ich hatte ein oder zwei Six-Packs mitgebracht. Bryan vergab gerade einen Auftrag an zwei junge Typen; sie sollten einen Bericht über 'ne Show liefern, bei der die Polente dauernd Razzia machte, irgendein Poet aus San Francisco hatte das Ding auf die Beine gestellt, ich komm nicht mehr auf den Namen. Niemand beachtete Neal C., und Neal schien es egal zu sein, oder wenigstens tat er so. Als die Platte zu Ende war, gingen die zwei Jungs, und Bryan stellte mich der Berühmtheit vor. Neal C.
»'n Bier?« fragte ich ihn.
Neal riß sich eine Dose aus dem Karton, warf sie in die Luft, fing sie wieder auf, riß den Verschluß auf und leerte das Ding in zwei Zügen.
»Noch eins?«
»Klar.«
»Ich dachte immer, ich hätte mit Biertrinken was drauf.« »Mann, ich bin nicht umsonst im Knast groß geworden. Hab übrigens dein Zeug gelesen.«
»Hab deinen Kram auch gelesen. Die Geschichte, wo du bei dieser Tante nackt aus dem Badezimmerfenster gekrochen bist und dich die halbe Nacht in den Büschen versteckt hast. War ganz gut. Hat mir gefallen.«
»Ah ja.« Er kippte eine Dose nach der anderen. Er setzte sich nie hin. Er schoß ständig im Zimmer hin und her. Seine Action war 'n bißchen bullig und aggressiv, aber es war kein Haß in ihm. Man mochte ihn unwillkürlich, obwohl man wußte, daß ihn Kerouac mit seiner Masche geködert hatte, und er hatte angebissen und nie aufgehört zu beißen. Aber Neal war O. K., und wenn man es andersrum anschaute, dann hatte Jack schließlich nur das Buch geschrieben. Er war ja nicht Neals Mutter. Nur sein Untergang.
Neal, auf seinem ewigen Trip, tanzte durchs Zimmer. Sein Gesicht sah alt und mitgenommen aus, aber sein Körper war immer noch der eines Achtzehnjährigen.
»Willst du's mal für 'ne Runde mit ihm versuchen, Bukowski?« fragte Bryan.
»Yeah, wie war's, Baby?« fragte Neal.
»Nee, vielen Dank. Ich werd im August 48. Ich hab schon genug eingesteckt.«
Ich hätte ihn nie geschafft.
»Wann hast du Kerouac zum letztenmal gesehn?« Ich glaube, er sagte 1962, oder 63, jedenfalls schon lange her. Ich schaffte es gerade noch, mit Neals Bierkonsum mitzuhalten und mußte schon bald raus und neues holen. Die Arbeit in der Redaktion war in etwa getan, Neal sollte bei Bryan übernachten, und B. lud mich zum Abendessen ein. »All right«, sagte ich, und da ich schon einen Leichten sitzen hatte, war mir nicht recht klar, was mir jetzt bevorstand. Als wir auf die Straße kamen, hatte gerade ein Nieselregen angefangen, so 'ne dünne fettige Pisse, die so richtig die Straßen vermasselt. Ich merkte immer noch nichts. Ich dachte, Bryan würde fahren; aber Neal stieg ein und setzte sich ans Steuer. Na immerhin, ich hockte ja auf dem Rücksitz. Bryan setzte sich vorne neben Neal, und ab ging die Post. Mit Vollgas diese glitschigen Straßen runter, und jedesmal, wenn wir grad an einer Ecke vorbei zu sein schienen, überlegte sichs Neal noch kurz und bog ein. Um Haaresbreite an den geparkten Autos vorbei. Ein Millimeter mehr, und wir wären alle drei im Eimer gewesen.
Und jedesmal fuhr mir so 'ne lachhaft blöde Bemerkung raus wie »Na leck mich am Arsch!«, und Bryan kicherte, und Neal fuhr einfach zu — weder verbis sen noch glücklich noch sarkastisch — einfach so; er saß da und machte die nötigen Be wegungen. Ich verstand. Das war seine Arena, seine Rennbahn. Es war richtig und es mußte so sein. Das Beste kam kurz vor dem Sunset Boulevard; wir fuhren in nördlicher Richtung, auf Carlton zu. Das Nieseln hatte sich noch verstärkt und ruinierte jetzt nicht nur die Fahrbahn, sondern auch die Sicht. Kurz vor Sunset bog Neal ab, Vollgas, jetzt mußte seine nächste Entscheidung kommen, und zwar im Bruchteil einer Sekunde. Um zu Bryans Wohnung zu kommen, mußte man von der Carlton runter und links abbiegen. Wir hatten noch einen Block zu fahren. Vor uns war ein Wagen, und auf der Gegenfahrbahn kamen uns zwei entgegen. Nun, Neal hätte Gas wegnehmen und hinter dieser Karre bleiben können, aber das hätte seinen Rhythmus ruiniert. Er scherte also aus und fing an, den Wagen vor uns
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