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Aufzeichnungen eines Außenseiters

Aufzeichnungen eines Außenseiters

Titel: Aufzeichnungen eines Außenseiters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Bukowski
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zu überholen. Ich dachte, das isses, jetzt hat er uns alle geschafft, naja, macht nichts, macht wirklich nichts, oder was einem in so 'ner Situation eben durch den Kopf geht. Die beiden Wagen rasten aufeinander zu, und der andere kam so dicht ran, daß der ganze Rücksitz in sein Scheinwerferlicht getaucht war. Ich bin überzeugt, der andere Fahrer muß im allerletzten Augenblick noch seine Bremse angetippt haben; das gab uns die Haaresbreite, die wir brauchten. Neal mußte das einkalkuliert haben, diese winzige Bewegung. Aber es war noch nicht zu Ende. Neal fuhr mit hoher Geschwindigkeit auf der Gegenfahrbahn weiter — wollte ja schließlich am Ende des Blocks links einbiegen, und da kam uns der zweite Wagen ins Ge hege. Ich werde mich ewig an diesen Wagen erinnern, es war wie eine Momentaufnahme aus allernächster Nähe. Es war ein altes graublaues Coupe, verschrammt, verbogen und verdellert, und es sah hart aus, wie 'n gußeiserner Backstein auf Rädern. Neal schnitt es scharf links an. Vom Rücksitz aus hatte es den Anschein, als würden wir kerzengerade in das Ding reinrasen. Es war ganz eindeutig. Aber irgendwie glichen sich die Vorwärtsbewegung des anderen und unsere Drift nach links genau aus. Die hauchdünne Linie war wieder da. Neal parkte unsere Karre, und wir gingen rein. Jean trug das Abendessen auf.
Neal fraß seinen Teller kahl und machte sich dann über meinen her. Das bißchen Wein, das es gab, war sowieso im Nu weg. Bryan hatte einen sehr intelligenten jungen homosexuellen Babysitter, der inzwischen, glaub ich, mit irgend 'ner Rock-Band weitergezogen ist oder Selbstmord verübt hat, oder was weiß ich. Auf jeden Fall, ich erinnere mich, daß ich ihn in den Arsch kniff, als er an mir vorbeiging. Er mochte das. Ich glaube, ich blieb lange da in jener Nacht, viel zu lange, köpfte ein Bier nach dem anderen, unterhielt mich mit Neal. Der Babysitter redete andauernd von Hemingway, verglich mich irgendwie mit Hemingway, glaub ich, bis ich ihm schließlich klarmachte, daß er mir auf die Nerven ging, und er verzog sich nach oben, um nach den Kindern zu sehen. Ein paar Tage danach kriegte ich einen Anruf von Bryan. »Neal ist tot. Neal ist gestorben.«
»Oh shit, nein.«
Und dann erzählte Bryan noch was und hängte auf. All diese Autofahrten, all diese vielen Seiten von Kerouac, all die Jahre im Knast, um schließlich allein unter einem eisigen mexikanischen Mond zu krepieren, ALLEIN , versteht ihr? Könnt ihr die mickrigen, verschrumpelten Kaktusdinger sehn? Mexiko. Miese Gegend. Spürt ihr nicht den unsteten Blick der Tiere in dieser trostlosen Wüste? Die Ochsenfrösche, glatt, unauffällig, Schlangen wie Schlitze im Hirn, wie sie angekrochen kommen, verhalten, warten, all das stumpfe Viehzeug unter dem stumpfen mexikanischen Mond. Reptilien, blitzschnelle flickernde Dinger, blinzeln herüber zu dieser Stelle im Sand, wo dieser Kerl im weißen T-shirt liegt. Neal, er fand seinen Rhythmus, und niemand geschah etwas dabei. Und jetzt hatte er Schluß gemacht, an einer Eisenbahnlinie in Mexiko.
Bei unserer einzigen Begegnung hatte ich zu ihm gesagt: »Kerouac hat all deine Kapitel geschrieben, bis auf das letzte. Ich habs bereits im Kopf.«
»O. K. Worauf wartest du?« hatte er gesagt. »Schreib es.« end copy.
    Die Sommertage sind länger, wenn die Selbstmörder leicht im Wind schaukeln und die Schmeißfliegen über den gärenden Schmant herfallen. Er ist ein berühmter Straßenpoet aus den 50er Jahren und immer noch in Form. Ich schmeiß meine Flasche in den Kanal (wir sind in Venice), Jack ist hier irgendwo für 'ne Woche oder so untergekrochen und soll in ein paar Tagen eine Lesung geben. Der Kanal sieht komisch aus, sehr komisch.
»Nicht mal tief genug, um sich reinzustürzen.« »Yeah«, sagt er in seiner Bronx-Kino-Stimme, »hast recht.« Er ist 37. Graue Haare. Hakennase. Untersetzt. Vital. Unwirsch. Männlich. Sehr männlich. Leichter Anflug eines jüdischen Lächelns. Aber wahrscheinlich ist er gar nicht Jude. Jedenfalls frag ich ihn nicht danach.
Er kennt Gott und die Welt. Pißte Barney Rosset* auf 'ner Party in die Schuhe, weil Barney was gesagt hatte, das ihm nicht paßte. Jack kennt Ginsberg, Creeley, Lamantia usw. usw., und jetzt hat er auch Bukowski kennengelernt. »Yeah, Bukowski kam nach Venice rüber, um mich zu sehen. Völlig vernarbtes Gesicht. Eingefallene Schultern. Sieht sehr müde aus. Redet nicht viel, und wenn er was sagt, dann ist es irgendwie flach und nichtssagend. Man

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