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Aufzeichnungen eines Außenseiters

Aufzeichnungen eines Außenseiters

Titel: Aufzeichnungen eines Außenseiters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Bukowski
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amerikanische Mann schon in frühester Kindheit weichgemacht wird von der Tretmühle der ame rikanischen Erziehung und dem behämmerten amerikanischen Elternhaus und von der Werbung, jenem speziellen amerika nischen Monster. Wenn er also ins entsprechende Alter kommt, ist er präpariert, und seine weiblichen Gegenspieler kennen ebenfalls ihren Part und lassen ihn vor sich hecheln und win seln und die Dollarscheine ausfahren. Deshalb hassen sie auch ihre Konkurrentinnen, die gewerbsmäßigen Nutten mit dem Gummi unter dem Leintuch, bis aufs Blut. Die rein geschäfts mäßige Attitüde der professionellen Hure wirkt zersetzend auf die Moral der amerikanischen Männergesellschaft:, der zufolge man sich erst vor dem Sexschinken im Staub winden muß, bevor man mal darf, und dann außerdem noch den spendablen Freier markieren muß. Mit anderen Worten, die Einstellung der professionellen Nutte inflationiert das Währungssystem Möse.
Es stimmt schon: Sex wird zu völlig überhöhten Preisen gehandelt. Man betrachte sich einmal mit Verstand eine jener Gruppenaufnahmen von Teilnehmerinnen an einem Schönheitswettbewerb oder einer Mißwahl — diese Idealfiguren, diese Beine, diese Busen ... in der Tat, eine gewisse magische Ausstrahlung läßt sich nicht abstreiten. Aber die Girls wissen alle, daß es sich dabei um KAPITAL handelt. Und dann betrachte man einmal die GESICHTER , die einem da entgegenlächeln. Das sind keine menschlichen Gesichter. Das ist genormtes Lächeln, in ein Stück toten Karton eingestanzt. Die Einzelteile — Nase, Ohren, Mund usw. — entsprechen durchaus unseren gängigen Vorstellungen von Schönheit; aber als Ganzes sind diese Ge sichter häßliche Fratzen ohne einen Funken Geist, ohne In tensität, nichts als platte mörderische Attrappen aus bemalter Haut. Aber sobald man diese Horrorvisagen einem amerikanischen Durchschnittsmann vorführt, wird er prompt sagen: »Yeah, die Weiber sind EINSAME KLASSE . . . nichts gegen zu sagen.«
Wenige Jahre später kann man sie dann im Supermarkt sehen, um Jahrzehnte gealtert, heruntergekommen, schlampig, übergeschnappt und verbittert — sie fühlen sich hereingelegt, als habe man ihre Aktien plötzlich weit unter Kurs verscherbelt. Und dann ist Vorsicht geboten: ihre Shopping-Karren haben Messerklingen an den Rädern — wie die Kampfwagen der alten Nubier. Sie sind die Wahnsinnsmösen des Universums.
Für manche Schriftsteller — den glorreich impertinenten Bukowski eingeschlossen — ist Sex also eindeutig eine Tragikomödie. Wenn ich darüber schreibe, dann nicht, weil ich hoffnungslos davon besessen bin. Ich sehe es eher als eine Schmierenkomödie, bei der man in den Pausen ein bißchen heulen muß. Boccaccio hat das viel besser gekonnt als ich. Er fand den richtigen Stil und er hatte den nötigen Abstand davon. Ich klebe immer noch zu sehr am Objekt, und die Leute halten mich einfach für einen Schmutzfinken. Vielleicht sollten sie lieber mal das »Dekameron« lesen . . . Und doch, nach mehr als 2000 Nummern — von denen die meisten nicht viel taugten — bin ich doch allmählich in der Lage, die Sache mit etwas Abstand zu sehen und mich über mein Dilemma mit einiger Selbstironie hinwegzusetzen.
Einmal hatte ich einen Job als Packer im Keller eines Modehauses. Ich arbeitete mit einem jüngeren Typ zusammen, einem unausstehlichen kleinen Fatzken, dem die Haare ausfielen und der gerade seinen Einberufungsbescheid gekriegt hatte, er sollte kurz vor Toresschluß noch im 2. Weltkrieg mitmischen. Das schien ihn zu bedrücken. Er kam zu mir und vertraute mir seine Sorgen an. Anscheinend hielt er mich für einen netten Burschen.
Wir waren allein in dieser riesigen unterirdischen Lagerhalle — die übrigen Packer arbeiteten im Erdgeschoß —, es war ein trostloses, verstaubtes Loch und wir krochen auf allen Vieren über die Kartons, die sechs Fuß hoch aufgestapelt waren, und suchten nach einer bestimmten Nummer, irgendein Artikel, der versandfertig gemacht werden sollte. Also wir krochen durch diese staubigen Kartons, man konnte kaum atmen, und im ganzen Keller gab es höchstens 3 oder 4 Glühbirnen, die so trüb waren, daß man kaum die Hand vor den Augen sah, und da sollten wir nun eine gewisse Nummer ausfindig ma chen.
Und der kleine kahlköpfige Fatzke schrie andauernd: » HAST DIE NUMMER JETZT GEFUNDEN?«
Und ich röchelte irgendwo hinter einem Karton hervor: »Nä . . .«
Shit, ich gab mir nicht mal Mühe. Was interessierte mich diese Nummer.

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