Aufzeichnungen eines Schnitzeljägers
aktuellen Position. Hier, sieh mal», er drückte mir das Gerät mitten ins Gesicht, «da steht 15 Meter. Das heißt, wir müssen in einem Umkreis von 15 Metern suchen.»
Ich konnte ihm mühelos folgen. So langsam setzte sich einkleines Samenkorn Verständnis für die Schwierigkeit dieses Noch-nicht-Hobbys in mir fest.
Aufmerksam blickte ich mich um: Hinter uns war der Weg, rechts und links waren Wiesen, vorne beschrieb der Weg eine Rechtskurve. Etwas weiter entfernt war ein schmaler Gebüschstreifen mit einem Maschendrahtzaun, auf der anderen Seite Richtung See kam erst ein vollgeschmierter Container, dann ging es zwei Meter leicht bergab Richtung Wasser.
Wir fingen an zu suchen. Nach etwa zehn Minuten erfolglosem Hin-und-her-Streifen rief ich: «Wonach eigentlich?»
«Wonach was?», fragte Micha verwirrt.
«Wonach suchen wir?», wiederholte ich, schon leicht genervt.
«Nach irgendeinem Hinweis.»
Für einen kurzen Moment ging ich jede Form von Folter durch, die mir in den letzten Jahren bei der intensiven Lektüre von Mittelalterromanen untergekommen war. Schließlich entspannte ich mich und sagte frohlockend: «Nach WAS für einem Hinweis?»
«Keine Ahnung, Zahlen oder so.»
Micha lugte hinter dem Container hervor, lächelte wissend und fing wieder an zu dozieren: «Vielleicht eine dreistellige Zahl. Vielleicht stehen auch noch zwei Buchstaben dabei. Ein ‹N› für Norden und ein ‹O› für Osten oder ein ‹E› für
East
. Das dürfte von Vorteil sein.» Damit zog er den Kopf zurück. Gerade noch rechtzeitig, bevor der Ast seine Stirn getroffen hätte, der mir versehentlich aus der Hand gefallen war. Dass die Sturzbahn des Astes erst nach oben und anschließend nach unten ging, musste eine spontane Laune der Natur gewesen sein.
Wir suchten weiter nach dem ersten Hinweis. Streiften durchs Gebüsch, beugten uns über den See, verbogen den Maschendrahtzaun. Ich hatte in der Zwischenzeit so ziemlich jedesZeichen auf dem Container entdeckt, in mehrere Sprachen übersetzt und interpretiert. Ohne Erfolg. Es waren wohl alles Telefonnummern und Geburtsdaten. Ziemlich viele Menschen hatten sich in ziemlich vielen Farbvariationen verewigt, sodass mir bald klar wurde: Ja, «they were here». Bald hatte ich die Finger in so ziemlich jede Baumöffnung gesteckt, die ich aufstöbern konnte, und fand darin so manches Mal mehr, als ich finden wollte.
Irgendwann fragte ich Micha: «Wie verstecken diese komischen Cacher denn ihre Hinweise?»
«Ich hab gelesen, sie schreiben sie mit Filzstift auf irgendwas drauf», sagte er.
«Ach ja? Du kannst lesen?», erwiderte ich. Man merkt, die Stimmung war allmählich leicht angespannt.
Nach längerem Suchen, die Sonne war inzwischen ein paar Mal auf- und untergegangen, hörte ich von der Seite ein langgezogenes «Aaahhhhhh».
Sofort reagierte ich mit einem «Nee, ne?».
«Doch!», lautete die Antwort.
«Wo?»
«Hier.»
Ich lief hin, und vor lauter Freude, dass wir endlich fündig geworden waren, konnte ich mich gar nicht richtig darüber ärgern. Der Hinweis war allen Ernstes mit wasserfestem Filzstift auf den Spannverschluss eines Maschendrahtzaunes geschrieben. Jetzt mal Spaß beiseite: Wie soll man denn bitte darauf kommen? Das ist viel zu schwer, da gehört gefälligst ein dicker Pfeil auf den Boden, der darauf zeigt. Abgesehen davon sollten mit Absperrseilen alle Wege unpassierbar gemacht werden, die einen in die falsche Richtung lenken, mehrere Fackeln die Strecke beleuchten und am Ende ein großes Feuerwerk direkt über dem Hinweis die Suche zu einem einzigartigen Erfolgserlebnismachen. Aber nein, der Owner, also derjenige, der den Cache gelegt hat, hatte all das offenbar nicht nötig.
Wenn die neu sind, können sie ruhig ein bisschen suchen, hat er sich wohl gedacht, so sieht es nämlich aus. Die Suche soll schließlich Spaß machen, da verstecken wir den ersten Hinweis ein bisschen besser, und auch wenn die armen Schweine vor Verzweiflung weinen, ist mir das völlig egal.
Grrrrrrrrrrrrrr. Im Nachhinein betrachtet war es übrigens eine der leichtesten Stationen …
Wir gaben also die neuen Koordinaten in Michas GP S-Ge rät ein. Genau genommen hat er das natürlich getan, denn die Regel Nummer eins bei technischen Geräten lautet: niemals aus der Hand geben. Der andere kann das Ding nachher besser bedienen als man selbst. Und wo sollen wir dann unser Selbstbewusstsein hernehmen?
Wir machten uns also auf zur zweiten Station. Es ging weiterhin den
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