Auge des Mondes
müsste eigentlich bereit sein«, sagte Chonsu.
»Ich werde gleich noch einmal nachsehen lassen.«
»Gut! Und ist dein Mann denn zur Stelle, du weißt schon, dieser Huy?«
»Das ist ein Problem«, sagte Chonsu. »Huy ist anscheinend spurlos verschwunden. Niemand von den anderen hat ihn mehr gesehen, seit er die Weiße …«
»Ja, damit haben wir beide Senmut einen ordentlichen Schlag verpasst. Der Perser, den er dafür in Verdacht hat - besser könnte es doch gar nicht laufen! Nachts hat er ihn aus dem Haus schleifen und anschließend im Tempel einsperren lassen, weil er ihn für den Mörder seiner Weißen hält. Schade, dass wir Senmuts Gesicht nicht sehen konnten, als er feststellen musste, was aus seinem tierischen Liebling geworden ist! Doch ich wette, davon erholt er sich nie wieder.« Mit seinen plumpen Händen fuhr er sich schnell über die Augen. »Braucht er auch nicht. Seine Tage als Erster Sehender sind ohnehin gezählt.«
Chonsu stieß ein leises Seufzen aus.
»Und was diesen Huy betrifft, der wird schon wieder auftauchen«, fuhr Menna fort. »Er weiß doch, dass ihm eine dicke Sonderration winkt, wenn er den ersten Wurf wagt. Das weiß er doch, oder?« Seine Stimme wurde drängend.
»Natürlich weiß er es. Alles hab ich ihm gesagt, was wir vereinbart hatten. Und die Uniform hab ich ihm auch längst gegeben. Was aber, wenn er trotz allem auf einmal den Mut verliert?«
»Das wird er nicht«, sagte Menna. »Und wenn: Du hast doch sicherlich für Ersatz gesorgt und für Verstärkung? Denn einer allein wird kaum mit ihnen fertig werden.«
»Alles ist bereit. Es werden genügend Männer zur Stelle sein, alle bärtig und in der Uniform der Perser …« Chonsu zögerte. »Und du meinst wirklich - heute?«
»Die Stadt ist übervoll, die Weiber rennen bereits in wilder Hysterie umher, die neue Statue ist umlagert, was willst du mehr? Lass sie ins Zwischenlager bringen, damit der Weg zum Feuer nicht mehr so weit ist, und dann schlaf ein bisschen. Ruh dich aus, bevor es richtig losgeht! Du wirst deine Kräfte noch brauchen.«
Wie war sie nur auf den Markt gelangt?
Eigentlich hatte Mina auf dem schnellsten Weg nach Hause laufen wollen, doch beim Gedanken an Ameni und Asha, die dort vertrauensvoll auf sie warteten, versagten ihr die Beine den Dienst.
Was hatte sie im Tempel erreicht? Gar nichts - und dazu noch weitaus Schlimmeres verursacht!
Anstatt Numis Freilassung zu erreichen, hatte sie sich Senmut zum Feind gemacht - ein gefährlicher Feind, wie sie aus Chais Berichten wusste. Ob sie jemals etwas über die verschwundenen Katzen erfahren würde, war mehr als zweifelhaft. Sie hatte den Zugang zu ihm verspielt; jetzt blieb ihr nur übrig abzuwarten.
Der Markt war so voll, dass sie kaum vorankam. Überall Trauben von Frauen, die sich vor den Ständen, Matten und Körben drängten. Überall aber auch die zufriedenen Gesichter der Händlerinnen, die ihre große Zeit im Jahr nutzten und verkauften, was das Zeug hielt. Die Räucherschwestern hatten reichlich Kundschaft abbekommen, und sogar Sedi war es gelungen, ein ansehnliches Häuflein um sich zu versammeln, dem er seinen räudigen Kaiman voller Stolz präsentierte.
Eine verrückte Idee begann bei seinem Anblick in Minas Kopf Gestalt anzunehmen: Wenn sie jetzt hintrat, vor all diese Frauen und ihnen erzählte, was sich in Per-Bastet im Geheimen abspielte? Wenn sie die Ungeheuerlichkeiten, die keiner glauben mochte, geschickt in das bunte Gewand eines Märchens verpackte und erst zum Schluss den Knoten durchhieb?
Ihr wurde heiß bei diesem Gedanken; ihr Gesicht begann zu glühen. Übelkeit krampfte ihr den Magen zusammen, so aufgeregt war sie auf einmal.
Mina schluckte, rang nach Luft. Wie würden die Frauen reagieren? Eine Revolte entfachen? Den Palast des Satrapen stürmen? Oder sich in Angst und Demut vor die Gottheit im Tempel werfen?
Die Versuchung war sehr groß - doch sie durfte es nicht wagen, ohne das Leben all der Katzen leichtsinnig zu gefährden. Bislang wusste niemand, wo sie gefangen gehalten wurden. Sollten die Häscher zu früh erfahren, dass ihr Plan aufgeflogen war, blieb ihnen genügend Zeit, um kurzen Prozess mit ihnen zu machen.
Mina war auf Senmut angewiesen, so schwer ihr auch die Einsicht fallen mochte. Wenn sie jedoch jetzt nicht irgendetwas tat, würde sie vermutlich platzen, so unruhig fühlte sie sich.
» Das Märchen vom Meer und von der Schwalbe .« Sie musste ihre Stimme kaum erheben, schon hatten die ersten Frauen
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