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Auge um Auge - Ein Verehrer schuettete mir Saeure ins Gesicht Jetzt liegt sein Schicksal in meiner Hand

Titel: Auge um Auge - Ein Verehrer schuettete mir Saeure ins Gesicht Jetzt liegt sein Schicksal in meiner Hand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ameneh Bahrami
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nicht …«
    »Wie? Sie sterben?«, schrie meine Mutter plötzlich. »Und was soll ich sagen? Sitzen Sie hier Stunden, Tage, Wochen und Monate bei Ameneh am Bett? Füttern Sie meine Tochter, weil sie allein nicht mehr essen kann? Haben Sie ihr an jenem schrecklichen Tag die ätzenden Kleider vom Leib geschnitten? Haben Sie Tag und Nacht mit ihr die Hölle durchlitten? Um ihr Leben gebangt? Wundgaze hab ich ihr anziehen müssen anstelle eines Brautkleides. So sieht die bittere Wahrheit aus! Also reden Sie keinen Unsinn, und hören Sie endlich auf zu jammern!«

14. Blickrichtung – Zwischen den Welten
    Inzwischen waren weitere Wochen vergangen. Meine Ärzte hatten mir mitgeteilt, dass sie mir gegenwärtig leider nicht weiterhelfen könnten. Dass wir abwarten müssten, wie die Säure sich verhalten würde. Abwarten – das hieß so viel, wie sich diesem Teufelszeug vollkommen auszuliefern. Wenn es gnädig zu mir wäre – gut. Wenn nicht – Pech! Ich verließ also das Krankenhaus und ging nach Hause zu meiner Familie. Einer meiner Onkel hatte ein Schaf geopfert, um mich vor allem Bösen zu bewahren. Künftig. Mehr hätte es mir geholfen, das Böse aus meiner Haut und meinen Augen zu entfernen, aber es ließ sich nicht verdrängen. Auch nicht durch eine gut gemeinte Opfergabe.
    Irgendjemand aus der Familie schlug den Koran auf einer beliebigen Seite auf und traf auf eine Sure, die uns hieß, all jenen zu danken, die uns einen Gefallen getan haben, und sei er noch so gering. Ich träumte zum ersten Mal, dass ich statt der üblichen vier nur drei Verse betete –
noch dazu von Mekka abgewandt. Welches Rätsel sollte ich denn damit entschlüsseln? Mein Leben stand doch schon auf dem Kopf, und kein Mensch wusste, wie und ob ich je wieder auf die Füße kommen würde.
    Ich hatte furchtbare Angst. Ich wusste, ich müsste irgendwann lernen, mein Gesicht auch berühren zu können. Wenn meine Augen es schon nicht sehen konnten, dann mussten wenigstens meine Hände diese schwere Aufgabe übernehmen. Ich musste der Wahrheit buchstäblich ins Gesicht sehen. Diese Redewendung bekam für mich unversehens eine ganz neue Dimension. Und dieser Schritt kostete mich eine ungeheuerliche Überwindung! Ich zitterte am ganzen Körper. Wie sollte ich es schaffen, die Zerstörung in meinem Gesicht zu ertasten? Wie sollte ich je erfassen können, was die Säure alles an und in mir zerfressen hatte – und noch immer zerfraß?
    Mir stand fast das Herz still. Da, ja, da war sie, die leere Augenhöhle. Verschlossen, nur noch Haut und kein Auge mehr. Hör auf zu zittern, Ameneh, du hast den Mut endlich aufgebracht. Sei stolz auf dich, Ameneh! Dein rechtes Auge ist verschlossen – es soll ruhen, sich erholen und dir eines Tages wieder das Augenlicht zurückgeben. Irgendwann, bald. Hoffentlich bald!
    Mein Ohr, meine Nase, meine Lippen, mein Kinn – nirgendwo auch nur das kleinste Stück glatte Haut mehr. Alles verzerrt, verätzt und zerfressen. Auch meine Zähne hatte die Säure angegriffen. Ob ich je wieder ohne Schmerzen würde essen können? Mein Gesicht entstellt, eine Fratze, vor der die Leute sich fürchteten. Mein Beten, mein Flehen hatte nichts genützt, absolut nichts … Gott im Himmel, was sollte nur mit mir werden? Wenn du mich schon nicht beschützt hast, steh wenigstens meiner Familie bei, die meinetwegen nun so große Sorgen hat.
    Und seine Familie? Wie oft hatte ich mir gewünscht, ihr Leben würde so schwarz werden wie meines? Dann wieder, wenn ich hörte, welche Strafen manche Menschen auf der Straße oder aus meinem Umfeld in Betracht gezogen hatten – »Wir ertränken seine Eltern in Säure!« oder: »Wir verbrennen ihn vor deinen Augen!« –, wurde mir doch Angst. »Untersteht euch!«, hatte ich zu meinen Kommilitonen gesagt, die auf solche dummen Ideen gekommen waren. »Ihr tut mir keinen Gefallen damit. Wartet um Himmels willen ab, was das Gericht sagen wird!«
    Das Gerede mancher Leute indes machte mir durchaus zu schaffen. Als ob wir nicht schon genug am Hals hätten. Die einen wünschten meiner Mutter – in meinem Beisein – genug Kraft, um mich bis an ihr Lebensende pflegen zu können. Sie merkten gar nicht, wie weh sie auch mir damit taten, wenn sie meine Mutter meinetwegen bedauerten. Andere forderten, ich sollte in mich gehen und mich fragen, was ich wem angetan hatte, um derart den Zorn Gottes auf mich zu ziehen.
    Wieder andere meinten, ich hätte wohl mein Haar besser unter meinem Kopftuch verstecken sollen, um

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