Auge um Auge - Ein Verehrer schuettete mir Saeure ins Gesicht Jetzt liegt sein Schicksal in meiner Hand
die Männer nicht zu reizen. Es war kaum auszuhalten. Hatte Gott schöne Haare erschaffen, damit wir sie unter Tüchern verstecken? Wenn Gott die menschliche Schönheit tatsächlich missfiele, wären wir Frauen doch als plumpe Ziegelsteine in die Welt geworfen worden.
Nicht mal meine eigene Schwester Schirin schreckte davor zurück, mich zu verurteilen. »Weißt du noch«, hatte sie mich eines Tages gefragt, »weißt du noch, was du nach meiner Scheidung zu mir gesagt hast?« Sicher erinnerte ich mich gut daran, dass ich ihr geraten hatte, etwas aus ihrem Leben zu machen.
»Such dir einen, mit dem du glücklicher werden kannst, hast du mir damals gesagt, und: Eine Scheidung ist doch kein Weltuntergang! Weißt du das noch?«
»Ja«, hatte ich ihr geantwortet, »das weiß ich noch. Und?«
»Jetzt siehst du, was du davon hast«, sagte Schirin mir ins Gesicht.
Herr im Himmel, hattest du das gehört? Sahst du, was sie mit mir machten? Sollte ich das alles hinnehmen? Bei all dem Schmerz, all der Höllenqual auch noch Spott, Vorwürfe, Schadenfreude?
Ich sprach zu ihm: »Gott, hilf mir weg von Ihnen. Zeig mir einen Weg weg von hier! Ich will ihnen allen zeigen, dass ich noch die alte Ameneh bin. Ich will ihnen beweisen, dass mir nichts passiert ist und dass ich unversehrt bin. Wenn ich mit meinen sechsundzwanzig Jahren ein Unrecht begangen habe, das eine solche Strafe verdient, welches Verbrechen hat dann das zweijährige Kind begangen, das unheilbar krebskrank im Krankenhaus liegt? Welche Verbrechen haben Arash und Abolfazl begangen, dass sie in diesen schweren Unfall verwickelt wurden? Welche? Ich werde allen zeigen, dass ich zwar mein Gesicht verloren habe, aber erhobenen Hauptes, ohne Scham und Schande, weiter meinen Weg gehen werde. Das sollten sie alle sehen. Alle!«
Dr. Karimian hatte mir bei einem Verbandswechsel schweren Herzens erklärt, dass sie in Teheran nichts weiter für mich tun könnten. Und dass sie sich umgehört und in Erfahrung gebracht hätten, dass Ärzte in Europa bereit seien, sich meines Falles anzunehmen.
»In Europa?«
»Ja, in Spanien, Ameneh – in Barcelona. Dort ist ein Ärzteteam bereit zu schauen, was man für dich tun kann.«
»Das heißt … das heißt, ich fliege nach Barcelona?«
»Baleh, ja, Ameneh, so ist es vorgesehen. Gott schütze dich – und gute Reise.«
15. Blickwinkel – Himmel und Hölle
Ich sollte also nach Barcelona fliegen. Nach Spanien – ein Land, von dem ich bis dahin kaum etwas gehört hatte. Nach Europa – ins Abendland, dass doch in jeder Hinsicht so weit vom Iran weg war. Eine fremde Kultur, fremde Menschen – ein fremder Glaube. Die Familie, die Freunde, die gewohnte Umgebung – all dies würde ich zurücklassen müssen. Wünschte ich mir noch vor nicht allzu langer Zeit, dass ich alles hinter mir lassen könnte, so überkam mich in diesen Tagen heftige Angst vor dieser großen Veränderung.
Aber ich hatte auch nicht mehr die Kraft, in Teheran auf Wunder zu hoffen, die zu jener Zeit einfach nicht geschehen wollten. Medizinisch war mir in meinem Heimatland schon lange nicht mehr zu helfen – wenn überhaupt je von richtiger Hilfe die Rede sein konnte. In all den Wochen gab es immer nur Rückschläge zu verkraften. Kein einziger Lichtblick vermochte meine dunkle Seele aufzuhellen. Gute Nachrichten gab es in dieser ganzen Zeit im Grunde keine. Immer nur Hiobsbotschaften, Schreckensnachrichten und schlimmste Rückschläge. Wenn es eine Hoffnung für mich geben konnte, dann musste ich die Reise nach Europa antreten – egal, wie weit sie sein würde. Ich musste endlich wieder handeln.
Vor meiner Abreise trat Richter Gheissarieh an mich heran und schlug ein Treffen mit Madschid und seiner Familie vor, damit auch wirklich alle in Erinnerung behielten, was er mir Schreckliches angetan hatte. Falls, Inschallah, meine Operationen in Spanien erfolgreich verliefen, käme ich schließlich verändert zurück nach Teheran, und er wolle dem Attentäter noch einmal das ganze Ausmaß seiner Tat vor Augen führen. Ich brauchte eine Weile, um dem Vorschlag zuzustimmen; im Grunde wünschte ich mir, die Gegenwart dieses Kerls bliebe mir für den Rest meines Lebens erspart. Ich wollte diesem Menschen nie wieder begegnen – und auch seinen Eltern nicht, die ich doch auch ohne ihn kaum ertragen konnte.
In einem Gerichtssaal versammelt saßen also bald meine Familie, die Familie von Madschid und unzählige Pressevertreter. Als ich meinen Nikab, den Gesichtsschleier,
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