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Auge um Auge - Ein Verehrer schuettete mir Saeure ins Gesicht Jetzt liegt sein Schicksal in meiner Hand

Titel: Auge um Auge - Ein Verehrer schuettete mir Saeure ins Gesicht Jetzt liegt sein Schicksal in meiner Hand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ameneh Bahrami
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Madschid Genugtuung hätte? Damit er sagen könnte: Weil ich sie nicht haben konnte, sollte auch kein anderer sie kriegen?
    Nein, ich war diesen beschwerlichen Weg nicht bis hierher gegangen, damit man mir jetzt so einfach die Tür vor der Nase zuschlug! Ich brauchte die Ärzte in Barcelona. Nicht nur, um mich wiederherzustellen. Nein, sie mussten mir helfen, dieser Bestie zu beweisen, dass sie mich nicht gebrochen hatte und dass ich nicht mehr hilflos war. Weder ich noch andere Frauen auf der Welt würden sich einfach so einem solchen Schicksal ergeben!
    Ich saß – das Bodenpersonal hatte darauf bestanden – in einem Rollstuhl, nahm die Hektik der Kontrollbeamten und alles andere um mich herum nur schemenhaft wahr – und wartete. Seit Wochen und Monaten war ich von nichts als Schatten und Schemen anstelle von menschlichen Wesen umgeben! Und in jenem Augenblick begriff ich überhaupt nicht, wonach diese Beamten überhaupt suchten, weil ich kein Wort Französisch verstand. Ich war mir sicher, dass wir alle Dokumente beisammenhatten. Wie sonst hätten wir aus Teheran ausfliegen können? Quälende Minuten vergingen, und ich zitterte am ganzen Leib.
    Wollten diese Leute Geld? Sollten wir uns die Erlaubnis zum Weiterflug erkaufen? Hatten sie Angst, ich könnte meine Behandlung nicht bezahlen und würde dem Staat Spanien möglicherweise auf der Tasche liegen? Eine offizielle Bestätigung lag doch vor. Präsident Khatami hatte doch veranlasst, mich finanziell zu versorgen – fürs Erste zumindest! Was also stimmte nicht? Warum hielt man uns auf?
    Nicht sehen können, die fremde Sprache nicht verstehen, das Gefühl, ausgeliefert zu sein – auch das hatte ich diesem Kerl zu verdanken. Ich war kurz davor zu verzweifeln, als der Spuk plötzlich beendet war und ich für flugtauglich erklärt wurde. Das also war es, was die Behörden wissen wollten. Ob ich flugtauglich war, nachdem ich die Reise von Teheran nach Frankreich offenkundig auf einem Kamel gemacht hatte … Mir fiel ein Stein vom Herzen. Und das musste auch die hilfsbereite Stewardess gespürt haben, die mich endlich an den Flugsteig schob. Mein Rollstuhl schwebte beinahe bis in die Maschine.
    Und dann hatte ich es endlich geschafft. Barcelona. Ich war so glücklich wie schon seit Monaten nicht mehr. Hier also war der Ort, an dem ich wieder ins Leben zurückfinden würde. Das war die Stadt, in der man mir helfen konnte, und hier waren die Ärzte, die das Licht in meinen Körper zurückbringen würden.
    Mein erster Eindruck auf dem Flughafen war überwältigend: Es herrschte Entspannung. Zumindest verglichen mit der Hektik in Paris: kein Gedränge, freundliches Stimmengewirr, Musik aus Lautsprechern im Terminal – selbst der leichte Nieselregen, der uns empfing, als wir das Gebäude verließen, war mir angenehm. Und was mich auf Anhieb am meisten beeindruckte – ich wollte es zunächst kaum glauben –, war dieses freie, lebensbejahende Lachen, das ich um mich herum hörte. Die Leute lachten entspannt, in aller Öffentlichkeit – völlig anders, als ich es aus dem Iran kannte.
    In diesem Moment erst fiel mir auf, dass die Unbefangenheit, die man hier spürte, aus Teherans Straßen schon lange Zeit verschwunden war. Öffentlich zu lachen, sich zu freuen und ausgelassen zu sein gehörte sich nicht. Wenn überhaupt, dann lachte man leise hinter vorgehaltener Hand. Aber was war so verwerflich daran, seine Freude offen zu zeigen? Wir waren doch von Natur aus kein humorloses Volk. Im Gegenteil. »Iraner zum Lachen zu bringen ist gar nicht so einfach«, hatte ein Fernsehmoderator einmal gesagt, »weil neunundneunzig Prozent der Leute ohnehin ständig Witze erzählen.«
    Über unsere Mullahs zum Beispiel. Mit ihrer Sittenstrenge hatten die sich seit der islamischen Revolution immer unbeliebter gemacht. Nicht nur, weil sie – unter anderem – als unersättlich galten: Was muss ein Ertrinkender einem Mullah zurufen, damit der ihn rettet? »Geben Sie mir Ihre Hand, ich flehe Sie an!«, würde ihm nicht weiterhelfen. Nein, er muss dem Mullah ein Angebot machen: »Nehmen Sie meine Hand, ich bitte Sie!«, und schon zieht ihn der Geistliche aus dem Fluss.
    Oder warum hieß das offizielle iranische Fernsehen inzwischen Glaswolle? Weil hinter der Mattscheibe wollbärtige Männer das Sagen hatten. Ganz gleichgültig, ob es sich um Unterhaltung, Ratgeber, Krimis, Bildungs- oder Sportprogramme drehte – die Sendezeit blieb den Mullahs für all ihre Predigten, Gebete und

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