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Auge um Auge - Ein Verehrer schuettete mir Saeure ins Gesicht Jetzt liegt sein Schicksal in meiner Hand

Titel: Auge um Auge - Ein Verehrer schuettete mir Saeure ins Gesicht Jetzt liegt sein Schicksal in meiner Hand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ameneh Bahrami
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hemmungslos. Ganz gleichgültig, ob ich Herrn Fatawi einst gesagt hatte, dass Tränen bei der Lösung von Problemen nicht halfen. Im allerersten Moment war ich doch nur verzweifelt. War mein linkes Auge wirklich schon verloren, kaum dass ich Barcelona erreicht hatte? Ich wollte doch mein Augenlicht zurück, wollte mich selbst wiederhaben und sehnte mich so sehr nach der Ameneh, die ich wenige Monate zuvor noch gewesen war! Würde ich je wieder die Ameneh von einst werden können? Oder war dieser ganze Traum so verloren wie mein linkes Auge?
    Dr. Medel wollte keine Zeit verlieren und operierte mein rechtes Auge nur wenige Tage nach der ersten Untersuchung. Ich hatte schon so großes Vertrauen zu ihm gefasst, dass ich den Eingriff kaum fürchtete. Im Gegenteil, ich freute mich beinahe darauf, weil mich jede Operation meinem Ziel näher bringen konnte. Und quälender als die Schmerzen, die ich am Tag der Katastrophe ertragen musste, würden keine jemals mehr sein können, da war ich mir sicher. Als die Vollnarkose nachgelassen hatte und ich langsam wieder wach wurde, hörte ich
Dr. Medel sagen: »Die OP ist gut verlaufen, Ameneh ... Ich habe nun meinen Teil getan. Jetzt ist es an Ihnen und Ihrer Schwester, Ihren Teil dazu beizutragen, dass die Sache einen guten Verlauf nehmen kann.«
    Und nur wenige Tage nach dem Eingriff – an einem frühen Abend im April – löste Dr. Medel den Verband von meinem Auge und fragte: »Kannst du sehen, Ameneh?«
    Ich traute im wahrsten Sinne des Wortes meinem Auge kaum. Es war ein Wunder! Ich konnte tatsächlich wieder sehen. Die Dunkelheit in meinem Kopf war vorbei, und nun würde sich auch die Dunkelheit in meiner Seele wieder aufhellen. Alles war verschwommen, aber ich konnte Dr. Medel erkennen, wie er vor mir saß, ich sah den Behandlungsraum, die Untersuchungsgeräte ringsum …
Ich konnte sehen! Mein sehnlichster Wunsch war in Erfüllung gegangen!
    Ramón Medel Jiménez. Mein Arzt! Ein Zauberer! Der Mann, der die Wunder vollbrachte, um die ich Gott so lange gebeten hatte. Es gab also Wunder. Irdische, die vielleicht auf göttliche Fügung gründeten. Ein Rätsel, das ich nie würde aufklären können, das mir aber in diesen Minuten die glücklichsten Momente seit langer, langer Zeit bescherte.
    Auf dem Rückweg zum Hotel nahm ich im Taxi meinen Nikab ab und konnte mich gar nicht sattsehen. Barcelona. Menschen. Fröhliche, glückliche und freie Menschen. Wann hatte ich so etwas zuletzt gesehen? Ich musste mich vielmehr fragen, ob ich so etwas überhaupt schon einmal gesehen hatte. Jeden Lidschlag wollte ich vermeiden, um auch die allerkleinste Kleinigkeit nicht zu verpassen: die vielen Farben, die elegant gekleideten Leute, die bunten Geschäfte … Alles war neu, und alles war wie ein riesiges Geschenk. Bevor wir aufs Zimmer zurückgingen, hätten Schirin und ich uns gerne noch ins Hotelcafé gesetzt. Weil dort aber zu viele Leute rauchten, versagten wir uns diesen Genuss. Zigarettenrauch war Gift für mein Auge, und ohne eine Silbe Spanisch hätten wir wohl nur mit Mühe etwas bestellen können. Also feierten wir den ersten Etappensieg in aller Stille auf unserem Zimmer. Dort war es so eng, dass ich nachts kaum Luft bekam und am liebsten die Tür offen gelassen hätte – was ich aus Angst aber nicht tat.
Diese Angst herrschte noch immer in mir. Mein Verstand sagte mir, dass Madschid viele tausend Kilometer entfernt in einem Teheraner Gefängnis saß. Ich wusste, dass er mir vorerst nicht mehr gefährlich werden konnte, aber mein Unterbewusstsein ließ sich so schnell nicht mit Vernunft beeinflussen. Ich war noch immer in dieser Angst gefangen, dass er zurückkommen und mein Leben endgültig auslöschen würde.
    Mein erster Termin bei einem plastischen Chirurgen währte nur kurz und begann mit einer erstaunlichen Frage: »Warum verhüllen Sie eigentlich Ihr Gesicht?«
    »Weil ich hässlich aussehe!«
    Diese Antwort ließ der Arzt nicht gelten.
    »Hässlich, Sie? Hat Ihnen das jemand in Barcelona ins Gesicht gesagt?«
    »Nein, bislang gottlob noch nicht.«
    »Ich sage Ihnen: Kein Mensch ist hässlich! Und wer Sie nicht anschauen mag, der schaut eben an Ihnen vorbei.«
    So etwas Freundliches hatte ich schon lange nicht mehr gehört. Ich musste unweigerlich an Teheran denken, wo man mir immer wieder zu verstehen gegeben hatte, dass ich Madschid nun doch zur Strafe heiraten sollte …
    »Sie müssen Luft kriegen, junge Frau, und frei atmen. Sie müssen Ihr Leben leben – das ist Ihr

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