Auge um Auge - Ein Verehrer schuettete mir Saeure ins Gesicht Jetzt liegt sein Schicksal in meiner Hand
Belehrungen vorenthalten. Und das hing vielen Iranern zum Halse raus. Klar gab sich unser Fernsehen seit Jahren offen, kaufte ausländische Serien ein, aus Korea, aus Frankreich, Deutschland, und da sah man dann sogar ganz selten einmal unverschleierte Frauen …
Aber im Grunde herrschte die vollkommene Kontrolle, und in einheimischen Produktionen trugen Frauen immer züchtig Tschador, Maghnae, Kopftuch oder Mantel. Ich fragte mich, ob in Spanien wohl auch Männer Werbung für Waschmittel machten. So wie im Iran, wo man auf keinen Fall unter Mantel oder Tschador die Konturen eines Frauenkörpers erahnen durfte, der sich über die Waschmaschinentrommel beugte, um Wäsche einzufüllen. Solche Szenen wurden in Einklang mit den Mullahs von Männern gedoubelt, was an Absurdität kaum noch zu übertreffen war. Wenn Paare in der Werbung vorkamen, musste immer auch ein Kind mit dabei sein, damit bloß kein falscher Eindruck entstehen konnte.
Wozu denn dieser ganze Umstand? Wir lebten doch nicht hinter dem Mond! Vor allem wir jungen Leute wussten längst, dass es außerhalb des Iran noch andere Welten gab, in denen es anders zuging als bei uns. Satellitenfernsehen und Internet – sofern der Zugang denn gestattet war – lieferten uns diese Gegenentwürfe ins Haus. Gegen die Flut der Antennenschüsseln, die nachts auf Dächer montiert wurden, kam kein offizielles Verbot an. Wer sich die Parabolantenne leisten konnte, empfing iranische Sendungen aus dem Ausland, aus Kalifornien oder aus Kanada. Dem Staatsfernsehen traute kaum noch jemand. Nicht nur die vielen jungen Leute, die nach der islamischen Revolution geboren waren, wünschten sich mehr Bewegungsfreiheit im Alltag.
Was war so ungehörig an dem Wunsch, sich nicht nur in den eigenen vier Wänden, sondern auch in der Öffentlichkeit nach eigenem Geschmack zu kleiden? Wo stand im Koran geschrieben, dass alle Frauen sich von Kopf bis Fuß verhüllen sollten? Wo stand geschrieben, dass öffentlich Musik zu hören oder zu machen verwerflich sei? Dass Gott Fröhlichkeit und Ausgelassenheit missfallen? Dass Feste – auch Hochzeiten – möglichst still zu feiern und notfalls zu unterbinden waren? Wer feiern wollte, wusste irgendwann, wie er diese Einschränkungen umgehen konnte. Aber auf Dauer war das Versteckspiel mit den Sittenwächtern keine Lösung. Und so durfte es nicht verwundern, dass iranische Sendungen aus den USA oder aus Kanada – allen voran jene mit Zuschauerbeteiligung – beliebt waren, weil sie Abwechslung boten.
In diesen Sendungen riefen viele Zuschauer aus dem Iran an und holten sich Rat von Psychologen, Medizinern oder Schönheitsexperten. Frauen kümmerten sich offen um ihr Aussehen, äußerten unbefangen ihre Meinung oder machten Werbung für Wein.
Ayatollah Haschemi Rafsandschani hatte, als er noch Präsident war, in einem seiner Freitagsgebete über das Telefonieren und die vielen Ferngespräche gepredigt, die wir Iraner mit unseren Verwandten im Ausland führten. »Besonders die Frauen plaudern gern und ausgiebig«, meinte er damals und machte einen Vorschlag zur Kostendämpfung: »Statt vom Iran aus Ferngespräche zu führen, lassen Sie sich von Ihren im Ausland ansässigen Verwandten anrufen. Das kommt sie ganz gewiss billiger.« Wusste er nicht, dass eine Vielzahl dieser Anrufe in die Exil-TV-Anstalten ging, wo sich junge Iraner gleichsam frei über private zwischenmenschliche Fragen austauschen konnten, die in unserem Land geflissentlich verschwiegen wurden?
Die meisten im Ausland ansässigen Verwandten lebten in Kalifornien. Nicht nur deshalb war das Ansehen der USA in weiten Kreisen der Bevölkerung längst viel besser, als es die Regierung darstellte. Dass bei offiziellen Demonstrationen nach wie vor »Marg bar Amrika!« gebrüllt wird, änderte daran gar nichts. Den Tod Amerikas konnte in Wahrheit niemand wollen. Und meinen eigenen? Wer hatte meinen Tod gewollt?
Die Ameneh von einst gab es nicht mehr. Meine Kraft war nicht gebrochen, aber mein Lachen wurde mir mit dem Attentat fast vollständig genommen. Ob ich in Barcelona wohl meine Lebensfreude zurückbekäme, fragte ich mich. Der erste Schritt dazu war getan und mein erster Eindruck vielversprechend.
Wir wurden am Flughafen bereits erwartet. Trotz unserer Verspätung empfing uns ein Rechtsanwalt, der für die diplomatische Vertretung des Iran in Madrid tätig war. Er bot an, uns in den nächsten Tagen als Stadtführer und Dolmetscher zur Verfügung zu stehen. Wir wollten uns
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