Auge um Auge (German Edition)
die Bühne absuchen.
»Sauber!«, rufen sie und rennen zurück in den Flur auf der Suche nach einem Feuer.
Sie werden keins finden, aber Alex wird sich kräftig die Finger verbrennen.
21 LILLIA Ich hatte nicht einmal Zeit, meine Jacke aus dem Spind zu holen. Die Lehrer sind total ausgerastet und haben uns durch die Flure getrieben, als stünde die Schule tatsächlich in Flammen. Es ist ein strahlender Tag, aber sehr kalt, vor allem für Anfang September. Ich zittere und dränge mich dicht an Ashlin, die mir einen Arm um die Schulter legt.
»Willst du meine Jacke, Cho?«, fragt PJ .
Ich nicke. »Ja, bitte!« PJ schüttelt sich die Jacke von den Schultern und reicht sie mir. Ich ziehe sie an, und Ashlin schließt den Reißverschluss für mich, wobei sie von einem Fuß auf den anderen hüpft. Die Jacke riecht genauso muffig wie PJ s Souterrain, aber besser als gar nichts ist sie allemal.
»Glaubst du, es brennt wirklich?«, fragt Ashlin hoffnungsvoll. »Vielleicht fällt der Test dann heute aus.«
Wir hatten erst letzte Woche Probealarm, und das hier fühlt sich ganz anders an. Die Lehrer scheinen jedenfalls keine Ahnung zu haben. Ich überlege – könnte das was mit Kat zu tun haben? Sie hat gesagt, sie würde die Blätter mit den Gedichten aufhängen, aber so eine Aktion wäre selbst für Kat ausgesprochen gewagt.
»Vielleicht«, antworte ich, als das Feuerwehrauto auf den Parkplatz einbiegt. Einige der Freshmen fangen gleich an zu klatschen und skandieren: »Abbrennen lassen! Abbrennen lassen!«
Total kindisch.
Wir stehen noch eine geschlagene halbe Stunde auf dem Parkplatz, so lange, bis die Feuerwehr das ganze Gebäude durchsucht hat. Meine Zehen kann ich schon nicht mehr fühlen. Endlich kommen die Männer heraus und geben Entwarnung, und die Lehrer führen uns wieder in die Schule zurück.
Auf dem Flur im Senior-Bereich sehe ich sie – unsere Poster, mit Alex’ lächelndem Gesicht und seinem Gedicht direkt daneben. An Spinden, an Wänden – einfach überall.
Auch Alex hat sie entdeckt. Er bleibt abrupt vor einigen Spinden stehen, auf denen ein ganzer Stapel dieser Dinger liegt. »Was zum ...«, sagt er langsam.
Reeve reißt ein Poster von der Wand und fängt an, laut vorzutragen, dabei krümmt er sich vor Lachen. »Wintersterne fallen, jeder Stern ein Wunsch ...Wollpullover auf deiner Haut. Können wir eine ganze Nacht lang Eskimoküsse tauschen? Dein rotes Band hält mich fest!«
Das klingt gar nicht nach dem Gedicht, das Kat uns im Auto vorgelesen hat. Das mit den längsten Fluren. Ich nehme mir ebenfalls ein Blatt und lese.
Moment mal.
Rotes Band?
···
Es war in meinem Freshman-Jahr, in der Weihnachtszeit. Meine ganze Familie war bei Alex zu Hause zur alljährlich stattfindenden Weihnachtsparty der Familie. Seit wir ganz auf der Insel lebten, waren Alex’ Mom und meine gute Freundinnen geworden. Sie trafen sich manchmal zum Lunch oder fuhren zusammen zum Einkaufen aufs Festland.
Unsere Eltern saßen unten am Kamin, tranken und unterhielten sich. Aus der Stereoanlage tönte Elvis Presley – so laut, dass wir ihn bis nach oben in Alex’ Zimmer hören konnten. Damals war er noch nicht ins Gartenhaus gezogen, aber er hatte die ganze obere Etage für sich. Sie war im Grunde ein einziger großer Hobbyraum mit Sitzsäcken, einem Kickertisch und einem Dartboard. Für die Party hatte Alex’ Mutter einen Tisch mit Kinderessen aufgebaut – Chicken Nuggets, Popcorn-Shrimps und Minipizzen. Vermutlich, damit wir nicht runterkamen und die Erwachsenen nervten.
Die Kleinen, darunter auch meine Schwester, zofften sich darüber, wer als Nächster Darts spielen durfte. Nadia geriet sich mit einem achtjährigen Jungen in die Haare, einem Cousin von Alex, glaube ich, und zwar so heftig, dass ich die beiden trennen musste. Da Alex und ich die Ältesten waren, hatten wir die Verantwortung. Ich hatte erst gar nicht mitgehen wollen zu der Feier, da Rennie nicht eingeladen war, aber Mom hatte darauf bestanden, dass wir als Familie hingingen.
Alex legte eine DVD für die Kleinen ein; danach war es weitgehend ruhig. Ich setzte mich an seinen Schreibtisch, spielte an seinem Computer rum und aß einen Weihnachtskeks – ein Rentier mit einem roten Bonbon als Nase. Alex lag ein Stück entfernt in seiner Hängematte und spielte Gitarre. Es klang gar nicht so übel. Irgendwann sagte er aus heiterem Himmel: »Hey, cooles Haarband.«
Ich schaute überrascht auf. »Danke«, sagte ich und tastete nach dem
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