Auge um Auge (German Edition)
Ashlin genug Stimmen hat«, sagt sie.
In dem Moment höre ich Lillias hohe, aufgeregte Stimme hinten im Flur. »Großer Gott, ich dachte, sie weint, aber anscheinend hat sie bloß gelacht!«
»Kat!«
Kats Kopf fährt hoch. »Ich bin noch nicht fertig!«
Ich schüttle den Kopf. »Wir müssen uns verstecken!«
Kat stopft die Zettel zurück in die Urne und sieht sich hektisch im Büro um, bis sie den Geräteschrank entdeckt. Sie winkt mir zu, aber als sie die Tür aufzieht, sehen wir, dass für uns beide viel zu wenig Platz ist.
Die beiden stehen jetzt direkt vor der Tür. Lillia plappert unentwegt weiter. »Es ist wirklich merkwürdig! Ich meine, ich hätte sogar Gerüchte gehört, sie würde sich ritzen, aber anscheinend ist da doch nichts dran! Vielleicht ist es nur eine multiple Persönlichkeitsstörung.« Sie kichert nervös. »Wir waren in letzter Zeit alle etwas überdreht, liegt wohl am Homecoming-Stress.«
Ich flitze hinter die Bürotür und spähe durch den schmalen Spalt zwischen Tür und Türrahmen.
»Ich bin dir jedenfalls dankbar, Lillia, dass du mich informiert hast. Es ist wichtig, dass ich weiß, was in meiner Mannschaft vor sich geht.«
»Das finde ich auch.«
»War sonst noch was?«
Durch den Spalt kreuzen sich Lillias und meine Blicke. Lillia reißt die Augen weit auf. Plötzlich läutet das Telefon auf dem Schreibtisch der Trainerin.
»Ich muss mal drangehen«, sagt Coach Christy und greift nach der Tür, legt die Finger darum. Gleich wird sie sie schließen, um in Ruhe sprechen zu können. Wenn sie das macht, bin ich erledigt. Ich halte die Luft an, so gut es geht. Ich mache mich so klein es geht, und schließe die Augen. Wir werden erwischt, und es ist alles meine Schuld.
»Warten Sie!«, schreit Lillia.
»Kleinen Moment, Lillia«, sagt Coach Christy. »Ich bin gleich wieder bei dir.«
Doch dann sagt die Trainerin gar nichts mehr, und mir bleibt fast das Herz stehen. Ich öffne die Augen. Aber sie hat mich gar nicht gesehen.
»Lillia!«, ruft sie und stürmt hinaus.
Ich spähe wieder durch den Spalt. Lillia ist in Ohnmacht gefallen. Sie ist nur noch ein kleines Häufchen draußen auf dem Flur. Die Trainerin schüttelt sie, damit sie wieder zu sich kommt. Lillias Augenlider flattern leicht. »Ich fühl mich nicht gut«, flüstert sie. »Können Sie mich zur Schulschwester bringen?«
Coach Christy hebt sie mit Schwung hoch, legt sich einen von Lillias Armen um die Schulter. Und schon sind sie weg.
»Sie sind weg!«, flüstere ich Kat laut zu.
Sie kriecht aus dem Schrank. »Das war knapper als knapp.« Ich nehme an, dass sie sich wieder an die Stimmzettel macht, doch stattdessen rennt sie den Flur hinunter.
Ich folge ihr.
»Geschafft!«, brüllt Kat, als wir draußen sind.
»Ich war mir so sicher, dass sie mich gesehen hat.«
»Tja, offenbar doch nicht!« Sie reckt triumphierend die Faust. »Bloß schade, dass ich Lillias Show verpasst habe.« Sie macht sie nach: »Ich fühl mich nicht gut.«Ich versuche ein Lächeln, aber ich habe ein ungutes Gefühl. »Bist du sicher, dass Ashlin genug Stimmen hat, um zu gewinnen?«, frage ich.
Kat winkt ab. »Das geht in Ordnung, ganz sicher. Es waren viele Stimmen für sie, und ich hab vielleicht zwanzig Rennie-Stimmen rausgenommen.« Sie greift in ihre Tasche und zieht mit beiden Händen Stimmzettel hervor. »Die Sache ist gebongt. Glaub mir.«
32 LILLIA Auf der Anzeigetafel ticken leuchtend hell die letzten Sekunden des Spiels herunter. Drei, zwei, eins. Der Schiedsrichter rennt hinüber zu der wütenden Möwe, die auf der Fünfzig-Yards-Linie gezeichnet ist, und greift nach der Pfeife an seinem Gürtel. Aber wegen all des Jubels höre ich nichts vom Abpfiff.
Wir haben sie kaltgemacht.
Jar Island 38 , Tansett 3 . Ein toller Homecoming-Sieg.
Reeve führt unsere Mannschaft vom Platz, den Helm hält er hoch über dem Kopf. Er ist schweißgebadet. Seine Haare sehen dadurch dunkler und lockiger aus.
An den Seitenlinien drängen sich die Scouts von verschiedenen Colleges, erkennbar an ihren Windjacken mit dem jeweiligen Logo. Sie halten Klemmbretter und Videokameras in den Händen. Einer von ihnen lächelt Reeve voller Stolz an, als wäre er sein Dad oder so.
Die Cheerleader springen alle auf und ab und fallen einander um den Hals. Ich schaue mich suchend nach Rennie um. Sie steht bei Nadia und wuschelt ihr mit der Hand durch die Haare. Dabei löst sich Nadias Pferdeschwanz halb auf, doch das ist Nadia egal. Rennie macht noch ein
Weitere Kostenlose Bücher