Auge um Auge - Moonbow #1 (German Edition)
damals, Zac trüge die Stärken von Oma Loretta und ihr in sich, würde aber dadurch in der Gesellschaft nicht klarkommen. Ich war zwar nicht der Ansicht, dass es so extrem war oder werden würde, dennoch vertraute ich auf Laylas Meinung. Schließlich wusste sie mehr über ihre Gabe, wie ich es immer nannte. Im Frühjahr 2000 verkauften wir den Hof und das Land und kauften dieses Stückchen Insel hier. Als der Umzug vorbereitet war, verschwand Layla plötzlich spurlos. In der Nacht vor unserer Abreise.«
View ließ seine Worte in Ruhe sacken, doch so, wie er es erzählte, kam sie nur zu einem Schluss. »Sie hatte ihr Verschwinden geplant.«
»Ja, so sehe ich das inzwischen auch. Doch nichts hat darauf hingedeutet. Wir verstanden uns besser als je zuvor. Wir hielten zusammen, wir liebten uns. Ich vermisse sie so sehr. Ihre Fürsorge, ihre Macken, sie sprach süß im Schlaf, und ihre Güte. Sie besaß Temperament und Leidenschaft. Ich war sicher, nichts könnte uns auseinanderbringen. Sie war mein Leben, genauso wie sie es für Zac war.« Er senkte den Kopf und vergrub sein Gesicht in den Händen. Seine Stimme klang dumpf. »Ich kann es nicht verstehen und ich will es auch nicht. Sie hat uns so sehr geliebt. Wir lieben sie. Ich habe alles unternommen, was mir einfiel, um sie zu finden. Nichts. Niemand wusste etwas über sie oder konnte sie ausfindig machen. Nicht einmal meine früheren Kollegen. Weder Opfer eines Unfalls noch lebt sie irgendwo anders. Sie ist wie vom Erdboden verschluckt.«
»Danke, dass du es mir erzählt hast«, sagte sie leise nach einer Weile. Viele Fragen waren noch offen, aber sie wollte jetzt nicht weiter nachbohren.
»Dann zu dir«, er räusperte sich, »Du heißt View und bist blind. Mal von den anderen abenteuerlichen Gegebenheiten abgesehen, ist das so ziemlich das Absurdeste, was ich gehört habe.«
»Weshalb? Gefällt dir der Name nicht?«
»View. Ich bin vielleicht nicht ganz nüchtern, aber ich bin noch lange nicht blöd. Du strahlst etwas aus, das nur sehr wenigen zu eigen ist.«
»Wie meinst du das?«
»Mensch, View. Ich habe einen Sohn, der so sensibel ist, dass ihn die meisten für eine Missgeburt, einen Gott oder ein Alien halten. Glaubst du nicht, das hat mich ein wenig geprägt? Ich konnte sehr viel von Zachary lernen. Er ist ein Geschenk. Nicht nur für mich als Vater, sondern für alle, wenn …«
»Wenn die Umwelt sich auf ihn einlassen könnte, wenn die Menschen ihm vertrauen würden, aber sie lehnen leider alles ab, was sie nicht kennen«, beendete View den Satz beinahe automatisch.
»Siehst du, das meine ich. Wer bist du, View? Warum versteckst du dich? Was ist mit deinen Augen? Warum siehst du mich nicht an?«
»Ich …« Am liebsten wäre sie aufgesprungen, doch sie blieb sitzen, das Gesicht zum wärmenden Feuer gerichtet. Wenn sie sich selbst doch nur besser kennen und verstehen würde. Etwas in ihr sagte ihr, dass er recht hatte, dass sie ihm vertrauen konnte, sich ihm öffnen und sich von ihm führen lassen durfte, wie von Zac. Andererseits wollte sie gerade jetzt niemanden an sich heranlassen, bevor sie nicht ihre Erinnerungen zurückhatte. Sie befürchtete, sich viel zu rasch wieder manipulieren zu lassen. Das durfte niemals wieder geschehen.
»Zwei Jahre lang habe ich nach meinem Sohn gesucht. Zwei lange Jahre …«, seine Stimme stockte. Er rieb seine großen, schwieligen Hände aneinander und brach ein paar Äste klein, warf sie ins Feuer. »Ich habe ihn nicht finden können.«
Ebenso wie seine Frau Layla. Es war schrecklich, dass Steven gleich zweimal so ein Schicksal ereilt hatte. Sicherlich war das kein Zufall.
»Und nun sagst du mir, Zac lebt noch. Doch er ist nicht bei dir und du sprichst nicht mit mir. Ich will doch nur meinen Jungen zurück. Er fehlt mir, weißt du. Er fehlt mir so sehr. Jeden einzelnen, gottverdammten Tag, den ich hier auf dieser einsamen Insel verbringe, weil er nur hierher zurückkehren kann. Wohin sollte er sonst? Er kennt nichts anderes, hier ist sein Zuhause, seitdem wir vom Bauernhof weggezogen sind.«
»Das war 2000.«
»Ja.«
»Genau zu dieser Jahrszeit? Ich meine, entschuldige.«
»Schon gut.«
»Nein. Sonst stelle ich nicht so viele Fragen. So persönliche schon gar nicht.« Ein nervöses Kichern drang aus ihrer Kehle. Innerlich wühlte Unruhe sie auf, ein regelrechter Orkan tobte in ihr. Es passierten so seltsame Dinge. Sie hatte den Eindruck, all das müsste ihr etwas sagen, sie müsste das große Ganze
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