Auge um Auge
Rennie muss es schon eine Nummer größer sein. Böser.
Lillia klatscht in die Hände. Typisch Cheerleader. »Die Idee ist so klasse. Also: Was wünscht Rennie sich am allermeisten?«
Ich zucke mit den Schultern. »Titten?«
Lillia kichert. »Das auch. Aber daran hatte ich jetzt nicht gedacht.« Sie macht eine Kunstpause. »Rennie träumt doch schon immer davon, Homecoming-Queen zu werden, weißt du noch?«
Ich nicke langsam. »O ja.« Als wir noch in der Mittelschule waren, quasselte Rennie von morgens bis abends über solche Sachen. Sie wollte zur Homecoming-Queen gekrönt werden, genau wie seinerzeit ihre Mutter. Und natürlich auch zur Prom-Queen. Rennie wollte einfach alles.
»Ren ist bisher jedes Jahr in den Homecoming-Court gewählt worden. Für sie ist es deshalb völlig klar, dass sie dieses Mal die Krone bekommt. Natürlich gibt sie das nicht offen zu, aber ich sag dir, sie will sie, unbedingt. Das heißt, wir müssen nichts weiter tun, als genau das zu verhindern.« Lillia stupst mich spielerisch in die Schulter. »Das ist ein Geschenk für dich! Wie sagt man, Katherine?«
Ich muss lachen. Das war wirklich ein Klassiker! Lillia will für jeden Pieps Anerkennung. »Mary sagen wir’s morgen in der Schule.«
»Nein, lass uns jetzt gleich zu ihr gehen.« Lillia bückt sich, streichelt Shep und flüstert ihm etwas ins Ohr.
»Im Ernst?«
»Klar! Wieso nicht?« Gerade will sie aus dem Fenster klettern, da dreht sie sich noch einmal um und fragt: »Ist dein Dad eigentlich noch immer im Popcorn-des-Monats-Club?«
Sie erinnert sich wirklich an die verrücktesten Sachen. Erst Shep, dann Nelly, und sogar Dads Schwäche für Popcorn. »Allerdings.«
»Und welche Sorte ist diesen Monat an der Reihe?«
»Salzkaramell.«
Ihre Augen leuchten auf. »Das war immer meine Lieblingssorte! Können wir ein bisschen mitnehmen?«
»Dir ist schon klar, dass damit Schluss ist, wenn du erst aufs College gehst, oder? Denk an die Freshman-Fifteen- Pfunde!«
Lillia schnaubt leise. »Alle Frauen in meiner Familie haben einen superschnellen Stoffwechsel.« Als ob das etwas wäre, worauf man stolz sein kann! »Es gibt in meiner Familie niemanden mit Übergewicht. Weder mütterlicherseits noch väterlicherseits.«
»Schon gut, schon gut, ich seh nach, ob noch was da ist.« Pat hat heute Abend in der Garage Pot geraucht, danach hat er immer Heißhunger. Aber wenn kein Popcorn mehr übrig ist, kann ich immer noch ein paar Oreos mitnehmen oder sonst irgendwas.
Wir sind schon fast zur Tür hinaus, als mir etwas einfällt. »Warte«, sage ich und gehe noch einmal zurück. Ich lange mit der Hand unter mein Bett und taste nach etwas. Alex’ Notizbuch.
Lillia zögert, also drücke ich es ihr in die Hand. »Sieh’s als Trophäe«, sage ich. »Du hast sie dir verdient.«
28 MARY Ich habe jedes Zeitgefühl verloren, aber mit Sicherheit liege ich schon seit Stunden hier im Dunkeln. Mit weit offenen Augen liege ich auf meinem Bett, in Shorties und Top. Obwohl ich müde bin und es mir so vorkommt, als hätte ich schon seit Jahren nicht mehr tief und fest geschlafen, schaffe ich es einfach nicht, zur Ruhe zu kommen. Als hätte ich verlernt, wie das geht.
Also denke ich an meine Eltern, frage mich, wieso Kat sich die Augen so stark schminkt, obwohl die doch von allein so schön sind, und was Lillia wohl mit ihren Haaren macht, dass sie so glänzen, denke an die Geometrie-Arbeit am Freitag und schließlich noch daran, was ich morgen zur Schule anziehen soll. Ich denke an alles Mögliche, bloß um Reeve aus dem Kopf zu bekommen. Aber es funktioniert nie. Es ist, als wäre er hier bei mir, in diesem Zimmer, wie ein Gespenst.
Ich rolle auf den Rücken und starre durch das Dunkel an die Deckenbalken. Ich sollte mal Tante Bette fragen, ob sie nicht vielleicht eine spezielle Duftkerze kennt oder Räucherstäbchen, die ich abbrennen kann, um diese negative Energie loszuwerden. Tante Bette kennt sich aus mit diesem ganzen New-Age-Zeug wie indianischen Kräuterbündeln, Tarotkarten, Heilsteinen. Mom findet das blöd, aber den Mondsteinring, den Tante Bette ihr zum vierzigsten Geburtstag geschenkt hat, den trägt sie doch. Mondstein soll positive Energien wecken und Heilung bringen. Beides könnte ich wohl auch ganz gut brauchen.
Aber ich kann Tante Bette unmöglich fragen, ob sie mir hilft. Denn dann müssten wir über das reden, was damals passiert ist, vor all den Jahren. Keine von uns will das, sie genauso wenig wie ich.
Ein leises
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