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Augen für den Fuchs

Titel: Augen für den Fuchs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henner Kotte
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Gedanken. Als Opa gestorben war, hatte sie es hingenommen, er war eben alt gewesen. Werft eine Blume von mir mit ins Grab!, hatte sie ihren Eltern hinterhergerufen, als die zum Begräbnis gefahren waren. Ansonsten besuchte Beetz oft dienstlich Trauerfeiern und Urnenbeisetzungen. Das gehörte zum Job. Aber mit den Toten verband die Kommissarin nichts außer der Arbeit. Unnatürliche Todesursache stand auf deren Totenschein. In der Mord zwo versuchten sie, die Ursache dieser Tode zu finden, so wie andere sich mit Fotovoltaik, Siliziumeigenschaften oder Kantinensuppe beschäftigten: rational, routiniert, emotionslos und für Monatslohn. Hier auf Station war das anders. Hier kämpfte man um Lebenserhaltung, hier stand man beim Sterben am Bett, hier wischte man über schwitzende Stirnen. Diese Belastungen konnte auch das Personal nicht einfach beiseite schieben.
    »Die meisten sterben mit einem Lächeln. Schauen sie in die Gesichter der Toten. Sie sind ruhig, entspannt, als wären sie angekommen.« Monique blickte aus dem Fenster. Der Zwenkauer See trat über die Ufer. Ein Sturzbach ergoss sich. Dann schaute sie Beetz ins Gesicht. »Ich würde Sterbebegleitung als Schulfach einführen. Wie viele sich in ihren letzten Stunden hier quälen. Das zehrt, sage ich Ihnen, das zehrt. Man sitzt daneben und kann nichts mehr tun.«
    Beetz wusste nicht, wer sie begleiten würde, wenn es bei ihr so weit war. Joseph Hönig? Der hechelte immer nur der knallharten Story hinterher. Das einfache Sterben war keine Schlagzeile wert. Nur Mord, Totschlag und Unfall mit möglichst viel Blut. Bei all ihrer Liebe glaubte sie kaum, dass Joseph nächtelang Händchen haltend Zeit an ihrem Bett verbringen würde. Wenn Beetz im Sterben lag, würden die Omi, Mutti und Vati nach den Regeln des Lebens schon lange verstorben sein und konnten ihr keine beruhigenden Worte mehr zuflüstern, sie konnten ihr nicht mehr über Wange oder das Händchen streicheln. Und Kinder? Darüber hatte sich die Kommissarin keine Gedanken gemacht. Sie war noch keine dreißig. Und es herrschte nicht mehr der Sozialismus, wo die Mütter bei der Erstgeburt kaum zwanzig Jahre zählten. Sie hatte noch Zeit, redete sich Franziska Beetz ein und wusste doch, dass sie irgendwann Entscheidungen treffen musste. War Joseph Hönig ein guter Vater? Ein guter Journalist war er und ein perfekter Liebhaber ohnehin. Aber würde er seine Zeit einer Familie opfern?
    Der Zwenkauer See in der linken Ecke der Scheibe füllte sich erneut, jetzt hatte er die Form einer Nierenschale. Wahrscheinlich war auch das Fensterbrett ein Teich. Regen und Regen und Regen und Tod. Beetz musste sich zwingen, weitere Fragen zu stellen.
    »Aber die Familie war über seinen Zustand informiert?«
    »Ja, sicher. Jeden Tag kam irgendjemand. Die Frau, die Söhne, die Eltern, Schwester, Freunde, Kollegen, Bekannte. Bei Frank Stuchlik saß meist einer am Bett.«
    »Nur heute Nacht nicht.«
    »Ja, nachts … wissen Sie, nachts ist der Besuch nur in Ausnahmefällen gestattet.«
    Die Kaffeemaschine röchelte stärker.
    »Bei Frank Stuchlik sah es nicht so aus, als ob er bald sterben würde?«
    »Wie sieht es denn aus, wenn einer bald stirbt?«
    Je länger sie sprach, desto mehr stahl sich ein Lächeln in Moniques Gesicht. Beetz konnte sich vorstellen, dass diese Schwester an ihrem Sterbebett saß. Sie fühlte sich plötzlich in der Defensive, wusste aber nicht, warum.
    »Wer hat denn den Toten entdeckt?«
    »Ich.« Monique sprach kaum hörbar. »Der Routinerundgang bevor den Patienten das Frühstück serviert wird. Fieber, Puls, et cetera. Ich dachte, der Stuchlik schläft endlich mal durch, wecken wollte ich ihn nicht, ich habe ihn nur sanft an der Schulter gefasst …«, Monique schluckte,»… und gleich gemerkt, dass es vorbei war. Er hatte seine Ruhe gefunden.«
    Sie atmete heftig. Dieser Tod ging ihr sichtlich nah. Monique lehnte sich auf ihrem Stuhl zurück. Die Schwesterntracht gab den Blick auf Moniques Knie frei.
    »Nur, dass dabei einer nachgeholfen hat.«
    Beetz musste sich konzentrieren. Der Zwenkauer See im Fenster setzte erneut zum Überlauf an.
    Monique sprach leise, kaum dass Beetz sie verstand. »Frank Stuchlik hat drum gebeten. Aber wir dürfens nicht tun.«
    »Frank Stuchlik hat von Ihnen aktive Sterbehilfe verlangt?«
    »Na ja, ja. Und er war nicht der Einzige. Oft wäre es besser … wenn Sie dieses Leid sehen … manchmal könnte ich …« Monique verstummte.
    »Und dass einer Ihrer Kollegen

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