Augen für den Fuchs
…?«
Monique sprang vom Stuhl auf, der fiel mit einem Knall auf den Boden. Die Kaffeemaschine sprudelte lauter und brach dann abrupt ab. Monique strich sich über den Kittel und suchte offensichtlich nach Worten. Als sie endlich sprach, bebte ihre Stimme vor ehrlicher Entrüstung. »Was unterstellen Sie uns! Dieselbe Frage hat uns Ihr Kollege schon gestellt.«
Fehlte nur noch, dass sie mit der Faust auf den Tisch schlug.
»Nein! Wir verstoßen nicht gegen das Gesetz, auch wenn es uns schwerfällt. Der hippokratische Eid zwingt uns, Leben zu erhalten, nicht, Menschen zu töten. Wissen Sie, was für Strafen drauf stehen?« Monique verschränkte die Arme über dem Busen. »Jahre Gefängnis! Ich bin verheiratet, habe Kinder. Allein der Gedanke ist völlig absurd.«
»So absurd ist er wiederum nicht, wenn Sie die Medien verfolgen. Immer wieder töten Schwestern und Pfleger Patienten mit der Begründung, sie vom Leid erlösen zu wollen.«
Der Zwenkauer See im Fenster war noch nicht wieder neu erstanden, oder Beetz hatte die letzte Flutung verpasst.
»Hallo?« Der Kopf einer Frau erschien neben dem Türrahmen. Ihr Gesicht war faltig und grau. Das Gebiss schien zu fehlen. »Die Frau Pommerenke benötigt den Schieber.«
»Ja, Frau Melhorn, komme gleich.«
»Sie sagt, es sei dringend.«
»Ja.«
»Frau Pommerenke verlangt täglich zehnmal den Schieber. Meistens umsonst. Ich habe den Eindruck, die Melhorn will uns nur schikanieren.« Ein wenig genervt klang Monique. Sie nahm wieder Platz, sittsam wie eine Erstklässlerin. Den Kopf hielt sie gesenkt. Die Hände waren gefaltet. Dann schaute sie Beetz direkt ins Gesicht.
»Sicher lässt es manchen verzweifeln, diese furchtbaren Schicksale täglich. Der Tod jeden Tag, und wir können nicht helfen. Sehen die Patienten leiden.« Monique holte tief Luft und schüttelte leicht ihren Kopf. »Sie haben recht, man steckt nicht drin in den Menschen. Aber wir arbeiten hier seit Jahren zusammen, da hätte es doch irgendwann auffallen müssen, wenn einer …« Sie fuhr sich mit der Hand über den Hals und stand dann langsam auf. Wahrscheinlich war die Kaffeemaschine in ihren Blick geraten. Sie schenkte Beetz ein. Dann nahm sie wieder Platz. Wie ein Gummiball.
»Zucker und Milch stehen auf dem Tisch.«
»Danke.« Beetz griff einen Löffel und rührte den Kaffee so lange, bis er eine trinkbare Temperatur hatte. »Ich muss Sie bitten, uns sämtliche Unterlagen der Station zu übergeben.« Fast tat es ihr leid. »Sie verstehen, dass wir nichts außer Acht lassen dürfen. Und irgendjemand muss Frank Stuchlik den Hals zugeschnürt haben.«
»Verstehe«, sagte Monique spitz und blickte, als hätte Beetz sie gerade unter Anklage gestellt.
Der Zwenkauer See im Fenster kam nicht mehr zustande. Vielleicht hatte der Regen nachgelassen.
»Sie haben keinen Draht oder ein Kabel, ein dünnes Seil gefunden oder gesehen? Haben Sie überhaupt so etwas auf der Station?«
Monique schüttelte heftig den Kopf, dann hielt sie inne und schenkte sich Kaffee in ihre Tasse. »Nein, nicht, dass ich wüsste … Und im Zimmer lag Frank Stuchlik tot in seinem Bett mit diesem Striemen um den Hals. Ich habe zwar nicht gesucht, aber ein Draht oder so wäre doch aufgefallen. Hier liegt ja nichts rum, auf Station ist es sauber.« Sie trank einen Schluck.
»Allein kann er es nicht getan haben?«, fragte Beetz.
Monique stellte ihre Tasse mit zu viel Schwung auf den Tisch. Der Kaffee schwappte über. »Niemals! Dazu war Frank Stuchlik auch viel zu kraftlos. Er konnte ja kaum die Tasse halten, wir mussten ihn stützen. Haben Sie seine Ärmchen gesehen? Nur Haut und Knochen. Bei einem Mann in den besten Jahren. Das Leben ist nicht gerecht.«
Beetz wollte sich auf keine philosophische Diskussion einlassen. Der See im Fenster blieb trocken. Die Tropfen suchten sich andere Wege. »Selbstmord schließen Sie also aus?«
Monique war sich sicher. »Sie etwa nicht? Warum stellen Sie denn sonst diese Fragen?« Sie schien zu dem Selbstbewusstsein zurückzufinden, das Beetz im Krankenzimmer wahrgenommen hatte. »Der Stuchlik hatte kaum Kraft, die Bettdecke hochzuziehen. So einer kann sich niemals selbst zu Tode würgen. Wer kann denn das überhaupt?«
Beetz war versucht, die absurdesten Beispiele dafür zu geben, die sie bei ihrem Job schon gesehen hatte.
»Selbst erwürgen, so ein Quatsch.« Monique fuhr mit dem Finger über den Rand ihrer Tasse. »Überhaupt, was ist danach mit dem Draht passiert, wenn er es selbst
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