Augen für den Fuchs
wie auf einer Pressekonferenz reden«, sagte Hackenberger. »Wir sind unter uns.« Der Präsident beugte sich über den Schreibtisch und lächelte leutselig. »Fortschritte im Fall des getöteten Patienten?«
»Keine. Privat hat sich bislang noch keine Motivlage ergeben. Frau, Kinder, eine glückliche Familie. Wenn die schreckliche Diagnose nicht gestellt worden wäre …«
»… hätte ich sie gerne zum Nachbarn gehabt.« Hackenberger sog hörbar die Luft ein. »Kohlund, ich will Fakten und keine Reden ans Volk. Sagen Sie mir die Wahrheit, wie ist der Ermittlungsstand?«
»Wir verfolgen keine konkrete Spur. Verdachtsmomente haben wir keine.«
»Sie tappen im Dunkeln.«
»So möchte ich es nicht ausdrücken.«
»So drücke ich es aus.« Dr. Bernd Hackenberger erhob sich aus seinem Sessel und lief langsam um den Schreibtisch und Kohlund herum, der auf seinem Stuhl immer kleiner zu werden schien. Er wusste, dass nun ein Vortrag über Effektivität und Engagement, über Pflicht und Ansehen in der Öffentlichkeit folgen würde. Hohe Leistungen zum Wohle unserer Menschen! Dr. Hackenberger hatte erstaunlich viel des sozialistischen Vokabulars übernommen, war aber auch damit nie in die Kritik geraten. Nur die Kollegen vermuteten, dass Hackenbergers Beziehungen in höchste politische Kreise reichten. Damals wie heute. Jedenfalls musste BeHa von irgendwo ganz weit oben Deckung erhalten, anders waren seine Leitungsposition und sein makelloser Ruf nicht zu erklären.
Der Polizeipräsident hielt den Finger an die Lippen, schritt weitere drei Runden um Kohlund und dann am Fenster vorbei. Dann stand er plötzlich still und griff zum Telefon.
»Gretel, machen Sie mal zwei Tassen? Große … Ja, auch was dazu.«
Er nahm wieder Platz, schob Papiere an den Rand seines Schreibtischs und schwieg weiter. Kohlund fragte sich, warum der Präsident ihn zum Rapport befahl, wenn er offensichtlich gar keine Auskünfte wünschte. Bislang hatte BeHa auch noch keine konkreten Fragen gestellt, sondern hielt sich erstaunlicherweise mit seiner Kritik zurück. Sie tappen im Dunkeln. Kohlund war schon oft zum Polizeipräsidenten gerufen worden, doch Kaffee hatte ihm Hackenberger noch nie gereicht. Er saß sonst hier und hörte Befehle zur Effektivierung der Arbeitsvorgänge in seinem Bereich. Hackenberger dauerten ihre Ermittlungen oft zu lang, und die Ergebnisse waren ihm zu dürftig. Er hatte Kohlunds Arbeit bis jetzt immer nur kritisiert. An ein Lob konnte sich Kohlund nicht erinnern. Doch nun schien BeHa der Stand der Ermittlungen gar nicht zu interessieren, denn Hackenberger stellte keine Fragen zu den Details. Annegret Pohlenz trug ein Tablett herein, auf dem neben dem Kaffee Kognak schwappte. Sie servierte auf dem kleinen Beistelltischchen, wohin der Präsident zu persönlichen oder sehr heiklen Gesprächen lud. Privat hatte Kohlund noch kein Wort mit ihm gewechselt.
Annegret Pohlenz verschwand. Kohlund vermeinte gesehen zu haben, dass ihr Kostüm am Türrahmen schabte und eine Naht geplatzt war. Kaum hatte die Sekretärin die Tür geschlossen, sprang Hackenberger aus seinem Sessel und bat Kohlund, am anderen Tisch Platz zu nehmen.
»Ja«, entfuhr es ihm, als er sich setzte. Es klang gepresst. Kohlund wechselte seinen Platz. »Ja. Also. Lieber Kohlund, trauen Sie Ihren Kollegen zu, den Fall Neurophysiologisches Rehabilitationszentrum allein abzuschließen? Ich muss Ihnen andere Aufgaben übertragen.« Darauf hob er sein Glas und hielt es Kohlund entgegen.
Verdutzt griff Kohlund nach dem zweiten Glas Kognak auf dem Tischchen. Es gab einen knirschenden Ton, als die Gläser zusammenstießen. Kohlund begann der Schweiß zu laufen. Solch ein wichtiges Gespräch hatte er nicht erwartet. Kohlund hätte gern nach dem Taschentuch gegriffen, wenn er eines in der Tasche gehabt hätte. So fuhr er sich mit der ganzen Hand übers Gesicht.
Hackenberger lehnte sich in den bequemen Sessel zurück und schwieg, vielleicht weil er nicht wusste, wie er das weitere Gespräch führen sollte. Kohlund saß auf der äußersten Kante. Ihn beschlich Angst. Vielleicht hatte er auf etwas falsch reagiert.
»Tja, lieber Kohlund, wie Sie ja inzwischen sicher gehört haben … unser Buschfunk arbeitet da schnell, das ist wie zu alten Zeiten … und die Medien haben des Langen und Breiten darüber geschrieben. Kriminaldirektor Miersch steht nicht nur in der öffentlichen Kritik … Ja. Also. Jetzt hat er um kurzfristigen Urlaub gebeten, den wir ihm natürlich
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