Augen für den Fuchs
hatten dazu eine ganz andere Meinung und fanden die neue Kommissarin gar sexy. Miersch war gegenteiliger Ansicht. Einmal hatten sie den fiktiven Kriminaldirektor gar zum schwulen Täter geschrieben. Er war wütend gewesen, doch Margo hatte herzlich gelacht.
»Wie viele Serientäter haben Sie denn im Archiv?«, fragte er.
»Ich kann mich nur an diesen Augensammler erinnern. Auch Journalisten und Stadtführer haben nichts gefunden, sonst wären andere Fälle sicher längst bekannt geworden.«
»Warum ist Ihnen der Augensammler im Gedächtnis geblieben?«
»Vergewaltigung, Mord und Verstümmlung – wenn das in Ihrer Nähe passiert, vergessen Sie das? Meine Oma hat mir schon solche Geschichten erzählt. Ich kann Ihnen sagen …«
»Hat man den Augensammler verurteilt?« Miersch unterbrach die Archivarin, er wollte etwas zum Augensammler und nicht zu den Mördern der zwanziger Jahre erfahren. Und er testete Brigitte Rademacher. Er glaubte nicht, dass es in Leipzig nur diesen einen Serienmörder gegeben haben sollte. Und dass sich die Kollegin so gut an den Augensammler erinnerte, schien ihm persönliche Gründe zu haben. Miersch selbst hatte die meisten seiner Fälle vergessen. Nun gut, einen Serienmörder …
»Der Täter wurde überführt. Ein Wirt. Sein Sohn hat den Vater umgebracht, dann sich selbst das Leben genommen. Soweit ich weiß, hing er im Gebälk des Gasthauses, das der Augensammler bewirtschaftet hat.«
Die Berichte von Anne und Brigitte Rademacher stimmten im Wesentlichen überein. Es war eine Tragödie ohnegleichen. Der Sohn hatte den Vater getötet, danach hatte er sich selbst gerichtet. Und trotzdem waren die Verwandten des Täters von dessen Unschuld überzeugt. Mein Hajo ist kein Mörder!
»Gab es keinen Zweifel der Schuld des Wirts?«
»Nein.« Die Archivarin blickte erstaunt und kratzte mit ihrem Löffel an den Resten des Kakaoschaumes in ihrer Tasse.
»Darf’s nor was sein?« Mit ausholender Geste stellte die Bedienung seinen leeren Kaffeepott auf das Tablett.
»Ein Wasser.«
Brigitte Rademacher schüttelte den Kopf. Die Kellnerin nickte gelangweilt, ihr Gesicht schien unter der blonden Mähne zu schlafen. Wahrscheinlich war ihr der Umsatz zu gering. Sie entschwebte und balancierte das Tablett dabei wie der Pfarrer die Monstranz durch die Kirche.
»Ich würde mir die Akte gern mit nach Hause nehmen.«
»Bitte.« Brigitte Rademacher schob sie ihm in die Hand. Ihr Blick suchte den seinen. »Wir stehen hinter Ihnen, Herr Kriminaldirektor. Was die Presse schreibt, ist Verleumdung. Sie haben sich nichts zu Schulden kommen lassen. Lassen Sie sich nicht von solchen Leuten aus der Ruhe bringen.«
Brigitte Rademacher zwinkerte in Richtung der Biederstedt, Bild. Vielleicht meinte sie es ja doch ernst mit dem, was sie sagte. Am Telefon vorhin hatte Miersch sich gewundert. Aber in diesem Moment unterstützte die Rademacher ihren Chef offen und vorbehaltlos. Und er hatte sie der Hochnäsigkeit verdächtigt, glaubte, sie würde ihn missachten. Sollte er sich so getäuscht haben? Hielten etwa auch andere Kollegen zu ihm? Kohlund, Schmitt, Böer? Miersch glaubte nicht dran. Die Rademacher hätte Schauspielerin werden sollen.
»So viel habe ich von der Presse begriffen: Für gute Schlagzeilen tun sie alles. Sie werden es überstehen, Herr Kriminaldirektor. Denken Sie nicht ans Aufhören. Sie würden uns sehr fehlen.« Und sie blickte ihn an wie ein Blumenmädchen bei der Konfirmation.
Miersch kam sich vor wie in einem Film, in dem sie ausländisch sprachen. Er musste wie ein Idiot gucken, denn die Rademacher lächelte.
»Darf ich Ihnen ein paar Fragen stellen, Herr Kriminaldirektor?« Die Biederstedt, Bild, stand an ihrem Tisch und hielt ihm das Mikro unter die Nase.
»Nein. Wir zahlen.« Brigitte Rademacher legte ihre Zeche auf den Tisch und steckte die Akte vom Augensammler wieder in ihre Tasche. Sie fasste Miersch unter der Achsel und schob ihn in Richtung Ausgang. Die Kellnerin wollte gerade das Wasser servieren und blieb sprachlos stehen.
Die Biederstedt, Bild, nahm es vom Tablett und trank. »Irgendwann werden Sie nicht mehr flüchten können, Herr Kriminaldirektor, dann ist es vorbei.«
»Vorher kriegen Sie eine Anzeige wegen Beleidigung, übler Nachrede und Rufmord«, sagte die Rademacher und schob Miersch vor sich her. Der kapierte nicht, wie ihm geschah. Wahrscheinlich drehten sie wirklich gerade einen Film.
18
»Sofort!«
Als er das Zimmer betrat, zeigte Manuela Hohmann mit dem
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