Augen für den Fuchs
Lektüre. Das Ziel war klar: Machern, Zu den alten Eichen. Er war vor Ort, er traf die Beteiligten im Fall des Augensammlers. Und Miersch entging der Verfolgung durch Presse und Kollegen, dort würden sie ihn nicht suchen.
Doch Anne Popp legte auf seine Anwesenheit keinen Wert. Auch wenn er das teuerste Zimmer mietete und die Vollpension dazu, sie lehnte ab. Auf die Frage Warum? gab sie keine Antwort, sondern legte die Zeitung vor ihn hin. Mörder. Monster. Menschenschlächter. Er hatte versucht, ihr die Umstände zu erklären. Sie hatte entgegnet: Ich vermiete Ihnen kein Zimmer!
Jetzt saß Miersch im kargen Foyer des kleinen Hotels und fühlte sich ausgesetzt und von allen verlassen. Er begriff die Welt nicht mehr oder die Welt nicht ihn. Er dachte doch klar. Er wollte keinem etwas Böses. Seine Entscheidungen traf er logisch und nachvollziehbar, da war er sich sicher. Aber das war sich fast jeder Patient, den man in die geschlossene Abteilung der Psychiatrie einweisen musste. Es konnte doch nicht sein, dass ihn keiner verstand und jeder an seiner Vernunft zweifelte. Miersch kam es vor, als ob alle eine Sprache sprächen, von der er weder Wortschatz noch Grammatik beherrschte. Margo lebte seit Jahren ihr eigenes Leben, die Kommunikation in den eigenen vier Wänden beschränkte sich auf die alltäglichen Notwendigkeiten. Aber dass die Kollegen ihm aus dem Weg gingen, selbst Andrea Dressel, die Schabowski und der Polizeipräsident, blieb ihm unverständlich. Er hatte nach Recht und Gesetz gehandelt. Für die Folgen war er nicht allein verantwortlich. Die Hetze der Presse hätte er vielleicht noch ertragen, wenn er Unterstützung und Rückhalt im Präsidium gespürt hätte, aber keiner hatte offen Partei für ihn ergriffen. Und nun ließ man ihn nicht mal im dörflichen Gasthof übernachten. Er war raus aus dem Spiel. Mensch, ärgere dich nicht! Es war zum Verzweifeln. Wenn er gekonnt hätte, er hätte geweint oder an die Wände geschlagen. Aber jeden Augenblick konnten Anne, die alte Rosel oder das Zimmermädchen erscheinen.
»Sie wünschen? Wissen Sie, unsere Rezeption ist nicht immer besetzt. Warum haben Sie denn nicht geschellt?« Rosel drückte auf die Tischklingel. Es hallte durch Haus.
»Ein Zimmer.« Miersch hoffte, dass nicht Anne auf das Läuten erschien. Aber wahrscheinlich war sie in der Küche mit Braten und Kochen beschäftigt. Er hatte einen Reisebus vorm Haus halten sehen. Wenn die Gruppe hier Quartier nahm, war vielleicht kein Bett mehr frei, und er müsste sich tatsächlich etwas anderes suchen.
Rosel blätterte wichtig im Hausbuch, Papier knisterte, Seiten wurden geknickt. Miersch hatte den Eindruck, dass die Alte sich wirklich nicht mehr aller ihrer Handlungen klar war. Immer wieder fuhr sie sich mit der Zunge über den Zeigefinger und blätterte, blätterte, las. So viele Seiten, wie sie gewendet hatte, müsste sie jetzt schon im vergangenen Jahr nachschlagen, und Rosel blätterte immer noch weiter zurück.
»Ein Zimmer.«
»Das habe ich schon verstanden. Sie müssen nicht denken, ich wüsste nicht, was ich tue. Ich kontrolliere, ob meine Tochter das Buch ordentlich führt. Wissen Sie, früher musste ich da sehr hinterher sein. Die Volkspolizei wollte genau alle Namen, Adressen, na, und so weiter.«
Rosel übersah ihn einfach. Es half Miersch kein Räuspern und Husten. Also lehnte er sich über die Theke.
Die Alte zuckte zusammen. »Mein Gott, können Sie nicht Guten Tag sagen?«
Vor Verärgerung schüttelte sie den Kopf und brummelte. Miersch verstand Worte wie Jugend und Ehrfurcht und Zimmerreinigung.
»Ich hätte gern ein Zimmer, wenn möglich mit Halb- oder Vollpension.«
Rosel sog Luft ein und stieß sie geräuschvoll aus. Ihn würdigte sie keines Blickes. »Ja, ja. Im zweiten Stock. Zimmer 21. Blick zum Hof, da ist es ruhiger.«
Sie legte den Schlüssel vor ihn auf die Theke und blätterte weiter.
»Herzlichen Dank.« Miersch griff zu Schlüssel und Koffer, froh, doch ein Zimmer erhalten zu haben, aber mit schlechtem Gewissen, denn er wusste, dass er Anne Popp hinterging. »Den Ausweis bräuchte ich noch.« Rosel blickte noch immer nicht auf, hielt ihm aber die Hand vors Gesicht, als bitte sie um eine Spende und schäme sich dafür.
Miersch reichte ihr seinen Pass aus der Jacketttasche. Rosel schrieb seine Personalien ins Formular. Dann knallte die Tür. Aus dem Gastraum zog Dunst, der nach Sauerkraut roch.
»O nein, Mutter! Wir sind ausgebucht, voll belegt!«
»Aber nicht
Weitere Kostenlose Bücher