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Augen für den Fuchs

Titel: Augen für den Fuchs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henner Kotte
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Finger nach oben. Kohlund wusste, was die Geste seiner Sekretärin bedeutete: Die Angelegenheit war dringend und duldete keinen Aufschub. Der Polizeipräsident verlangte seine Anwesenheit.
    »Hat er gesagt, warum?«
    »Nein.«
    »Da es schon duftet, bekomme ich trotzdem noch einen Kaffee.«
    »Er hat sofort mehrmals betont.«
    »Keine Chance?«
    »Keine Chance.«
    Kohlund hing seinen Mantel an die Garderobe. Seine Tasche platzierte er auf dem Besucherstuhl. Manuela Hohmann griff zur Kanne und schenkte ihm ein Schlückchen Kaffee in die Tasse. Ein Kompromiss. Er trank im Stehen und machte sich auf den Weg durch die langen Flure. Kein Kollege begegnete ihm.
    Es verwunderte Kohlund nicht, dass er zum Präsidenten gerufen wurde. Oft ließ sich BeHa, wie der Polizeipräsident intern genannt wurde, persönlich über den momentanen Ermittlungsstand informieren. Aber der Fall Frank Stuchlik war weder zum Problem geworden noch besonders heikel. Zumindest im jetzigen Stadium. Ein Todkranker war verstorben, eine Krankenschwester war verschwunden. Sie hatten noch keine Erfolg versprechenden Spuren, aber Presse und Fernsehen waren auf den Fall nicht angesprungen. Zu unspektakulär. Zu traurig. Von der Doppelexistenz Anita Demands hatten die Journalisten aus ermittlungstaktischen Gründen noch nichts erfahren. Die Arbeit der zweiten Mordkommission stand weder in der Kritik noch im Fokus der Aufmerksamkeit der Medien. Was wollte der Oberste nur von ihm? Lars Kohlund schritt mit ungutem Gefühl die Gänge entlang.
    Er klopfte an der Vorzimmertür, und Annegret Pohlenz drückte augenblicklich den Summer. Einfach so kam niemand in das Allerheiligste. Kohlund grüßte die dicke Sekretärin des Präsidenten, für deren Körpermaße ihr Schreibtisch zu klein war. Annegret Pohlenz schien Telefon, Fax und Computer mit Busen und Bauch zu erdrücken. Der Briefumschlag in ihrer Hand wirkte winzig. Sie winkte Kohlund damit ohne Worte zur offenen Tür, hinter der Dr. Bernd Hackenberger residierte.
    Das Zimmer war verdunkelt, die Schreibtischlampe brannte, so dass Kohlund zunächst nur Konturen wahrnahm. Feingliedrige Hände schoben im Lichtkegel Papiere zusammen, dann drückten sie einen Schalter, und das Büro des Polizeipräsidenten lag im Scheinwerferlicht. Dr. Bernd Hackenberger reichte ihm die Hand, ohne sich vom Stuhl zu erheben.
    »Kohlund, setzen Sie sich!«
    Mit der langen Nase und den aus der Stirn gekämmten, dünnen Haaren glich der Polizeipräsident einem Windhund. Und wahrscheinlich blieb seine Körpergröße unter eins fünfundsechzig. Er war drahtig, trainiert durch regelmäßiges Klettern im Elbsandsteingebirge. Seinen Augen entging nichts. Wenn Dr. Bernd Hackenberger neben seiner massigen Sekretärin Annegret Pohlenz die Kantine betrat, lächelte man über die beiden, als wären sie Laurel & Hardy oder Tine Wittler und der siebte Zwerg. Das ungleiche Paar sorgte für Gesprächsstoff, hatte aber niemals Anlass für Gerüchte gegeben. Unter Kollegen hatte man Hackenberger mit BeHa abgekürzt, ohne dass je an weibliche Unterwäsche gedacht worden wäre. Dr. Hackenberger genoss Respekt, er hatte schon zu DDR-Zeiten polizeiliche Leitungsfunktionen erfüllt. Und er war in den Wendetagen zum Chef der Leipziger Polizei berufen worden. Seine Evaluierung auf Stasi, Parteinähe und Amtsmissbrauch hatte nicht den geringsten Verdacht ergeben, war offiziell verlautbart worden. Trauen wollte Hackenbergers blütenweißen Weste keiner. Öffentlich wurden diese Zweifel an der Karriere des Präsidenten nie. Noch hatte Dr. Bernd Hackenberger drei Jahre bis zu seiner Pensionierung.
    »Neue Erkenntnisse im Fall der verschwundenen Krankenschwester?« Er räusperte sich und schaute Kohlund durchdringend an.
    »Nichts Neues. Aber die Ermittlungen stehen auch erst am Anfang.«
    Kohlund wunderte sich, dass BeHa über den Mord im Neurophysiologischen Zentrum informiert war. Aber bei dieser nebenbei gestellten Frage sollte der Angriff wohl aus einer anderen Richtung erfolgen. Hackenbergers Verhörstrategien waren Legende, er hatte mehr als nur einen Straftäter überführt und galt als Meister von Verstellung, Taktik und falschem Mitgefühl. Diesen Ruf hatte Hackenberger auch auf dem Präsidentenstuhl nicht verloren. Kohlund rieb sich die Hände an seinen Knien und wartete wie ein Prüfling aufs Urteil der Kommission. Es saß ihm nur Dr. Bernd Hackenberger gegenüber. Trotzdem war es schlimmer als das Staatsexamen I und II.
    »Sie müssen bei mir nicht

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