Augen für den Fuchs
gewähren … Ein bisschen aus der Schusslinie nehmen. Und da momentan … Sie wissen, dass seine Aufgaben übernommen werden müssen … quasi kommissarisch …«
Er lachte über das eigene Wortspiel. Kohlund fiel das Atmen schwer. Hackenberger fuchtelte mit den Armen, als könnte er ihn dadurch besser überzeugen, dass Mierschs Aufgaben – quasi kommissarisch – von einem anderen übernommen werden mussten. Der Schweiß auf seinem Rücken schien zu Eis zu erstarren. Kohlund nahm noch einen Schluck vom Kognak. Dass Miersch kurzfristig um Urlaub gebeten hatte, war eine sehr wohlwollende Interpretation der Fakten. Wie man sich auf den Gängen erzählte, war der Direktor einfach verschwunden, hatte sich entschuldigen lassen und feierte all seine Überstunden samt Resturlaub auf ein Mal ab. Andrea Dressel hatte seinen Anruf entgegengenommen und Hackenberger gemeldet, seitdem war Konstantin Miersch für niemanden zu erreichen. Weder auf dem Handy noch zu Hause. Seine Gattin gab sich ahnungslos, oder sie wusste wirklich nicht, wo sich ihr Mann aufhielt. Andere Anlaufpunkte besaßen die Arbeitskollegen keine. Und wenn Hackenberger Kohlund nun zu sich lud … quasi kommissarisch … Er erkannte mit Schrecken, worauf dieses Gespräch hinauslaufen sollte.
»Nein!«, sagte er ein bisschen zu laut. »Für diesen Posten stehe ich nicht zur Verfügung.«
»Überlegen Sie erst, Kollege Kohlund, bevor Sie Ihre Entscheidung treffen. Sie würden uns und auch sich selbst nützen.«
Genau solche Worte hatten die verdienten Genossen gewählt, als sie ihn von einem Parteieintritt überzeugen wollten. Kohlund, Sie kämpfen in vorderster Reihe für die Sache des Sozialismus, da liegt es nahe, wenn Sie Ihre Überzeugung auch durch die Parteimitgliedschaft untermauern. Genosse, auf Sie kommt es an, nicht auf alle! Kohlund zeigte sich damals vom Vertrauen der alten Kämpfer überrascht, hatte jedoch alle Ausreden eingeübt und dann genau wie ein gelerntes Gedicht vorgetragen. Er sei ideologisch noch nicht reif für die Ehre einer Mitgliedschaft. Er müsse sich seine Zustimmung wohl überlegen, nicht spontan entscheiden. Ja, er wolle und könne die Genossen nicht enttäuschen. Sie sollten ihm Zeit geben, Charakter zu entwickeln. Nur ein Mitläufer wollte er unter keinen Umständen sein. Im Kreis der jungen Kollegen kursierten Handbücher, wie man die Parteiaufnahme, wenn schon nicht umgehen, so doch erheblich verzögern konnte. Und jetzt trug ihm Dr. Hackenberger an, den Job des Kriminaldirektors zu übernehmen. Der Schweiß zog kalte Wege auf seinem Rücken. Kohlund trank den Kognak mit einem Schluck aus.
»Wären nicht andere geeigneter für diesen Job?«, sagte er dann. »Ich meine, Berufs- und Lebenserfahrung sind für diesen Posten Voraussetzung. Da halte ich mich noch immer für einen Lernenden.«
»Diesen Quatsch können Sie anderen erzählen. Ich kenne Sie, Kohlund, Sie haben Ihre Aufgaben stets mit Bravour absolviert. Mensch, solche Leute wie Sie brauchen wir. Unsere Leitungsebene weist ohnehin schon zu viele Fremdkader auf. Das ist Ihre Chance! Nutzen Sie sie! Kommissarisch ist nicht für ewig. Nein sagen können Sie später noch immer.« Hackenberger beugte sich über den Tisch und tätschelte Kohlunds Arm. »Ich habe immer bedauert, dass Sie nicht mehr Verantwortung tragen wollten. Schlagen Sie ein! Sagen Sie Ja!« Er hielt Kohlund die Hand entgegen, die dieser übersah.
»Um ein wenig Bedenkzeit würde ich bitten«, sagte er.
Hackenberger sah aus, als habe er Kohlunds Taktik durchschaut. Kohlund fühlte sich um mehr als zwanzig Jahre zurückversetzt. Im Dienst können Sie auch nicht zögern, der Klassenfeind schläft nicht!
»Kein Problem.« Hackenberger gab sich verständnisvoll.
Er zog seine Hand zurück, schien Kohlunds Satz aber als Zustimmung zu deuten. Er trank aus und schenkte die Gläser noch einmal randvoll. »Ich wusste, dass ich mich auf Sie verlassen kann.«
Sie stießen an, und Kohlund vernahm erneut den Misston der Gläser. Es klang dumpf und körnig, als würden Tennisbälle auf Sand prallen. Überhaupt schienen ihm die Kognakschwenker aus jener durchsichtigen Plaste gepresst, die zu sozialistischen Zeiten produziert worden war. Von Saftglas bis Sektkelch ein grauer Schleier, kein Glas, sondern Attrappe. In jedem Lokal hat man aus ihnen getrunken. Wahrscheinlich waren die Kognakschwenker in diesem Büro seit den Brigadefeiern der Volkspolizei in Benutzung.
Danach schwiegen der Präsident und sein
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