Augen für den Fuchs
sanft über die Schulter. Monique schüttelte die Hand ab und presste Tabletten in vorbereitete Schälchen, die sie am Morgen an die Patienten verteilen würde.
»Wie können denn Menschen einfach verschwinden? Haben Sie dafür eine Erklärung?«
Auch die Kommissare standen vor einem Rätsel. Beetz hatte ein schlechtes Gewissen. Die Ermittlungen brachten keine Ergebnisse. Der Tod Frank Stuchliks lag weiter im Dunkeln. Zwei Schwestern waren von der Station verschwunden. Auch aus einer anderen Abteilung wurde berichtet, dass das Pflegepersonal aus unerklärlichen Gründen nicht zum Dienst erschien. Die vermissten Angestellten hatten die Handys abgestellt oder nahmen den Hörer nicht ab, und keiner konnte sie von daheim holen, denn unter den angegebenen Adressen wohnten zwar Personen gleichen Namens, doch sie waren nicht die Gesuchten. Ein Rätsel, aber dahinter steckte offensichtlich System.
»Kein Anruf. Kein Hinweis. Kein nichts. Wir stehen hier und wissen nicht mehr, was wir tun sollen. Seit achtundzwanzig Stunden stehe ich hier und habe keine drei Stunden dazwischen geschlafen! Ständig habe ich das Telefon in Griffweite. Wenn ich diese Demand oder diese Schwitters, wenn ich die …«
Monique hob ihre Faust gegen den Dienstplan. Beetz verstand ihre Wut. Auch sie konnte nicht begreifen, was hier vor sich ging. Manuele Schwitters hieß die zweite vermisste Krankenschwester auf dieser Station. Wie Anita Demand war die Schwitters für die Nachtschichten zuständig. Auch sie hat die Arbeitsvermittlung Time is Money vermittelt. Auch dort geht keiner ans Telefon. Manuele war eine ausgebildete Fachkraft, gute Zeugnisse. Es hatte keine Klagen gegeben: zuverlässig, dienstbeflissen, psychologisch einfühlsam. Die Personalakte lag auf dem Tisch vor Beetz und Kohlund.
»Die Patienten haben Manuele geliebt. Sie war sanfter als die anderen Schwestern. Hat Händchen gehalten, Lieder gesungen. So eine lässt ihre Patienten nicht so einfach im Stich. Ich begreife es nicht. Sie fühlte sich wohl. Sie kann doch nicht einfach verschwinden.«
Das konnte Manuele Schwitters augenscheinlich doch. Solveig hatte die Wahlwiederholung des Handys gedrückt, das automatisch alle Minuten bei Manuele Schwitters anrief. Nur nahm nie jemand ab.
»Können Sie mir die Telefonnummer und ihre Adresse geben?«
Zum ersten Mal schaltete sich Kohlund in das Gespräch ein. Er klang missmutig, sein Ton war aggressiv und gehetzt, als wäre er hierher gerannt und nicht mit ihr im Dienstwagen gefahren. Beetz vermutete, dass sie ihn mit ihrem Anruf aus privater Atmosphäre gerissen hatte, und er in Gedanken noch immer daheim war. Aber auch sie musste auf gemeinsame Stunden mit Joseph Hönig verzichten. Dienst ist Dienst. Und der Chef war der Chef, und er hatte Bereitschaft, also hatte sie ihn informiert.
Kohlund hätte sie allein ermitteln lassen können, aber er war erstaunlich schnell im Präsidium erschienen, hatte sich gar hinters Steuer gesetzt und war gen Machern gerast. Die Fahrt hatte an ihren Nerven gezehrt. Kohlund hatte ihr eine Frage nach der anderen gestellt. Wie? Wer? Warum? Wie kann denn so was passieren! Offensichtlich fand auch der Chef der Mordkommission für das Geschehen keine Erklärung. Es kann doch keiner Nachtschwestern sammeln! Beetz hatte ihm nichts entgegnet. Sie wusste selbst keine Antworten, zudem fürchtete sie Kohlunds Reaktionen. Und Joseph Hönig hatte ihr all diese Fragen bereits gestellt.
Beetz wählte noch einmal die Handynummer von Manuele Schwitters. The person you have called is temporarily not available. Schwester Solveig drückte Beetz wortlos einen Zettel mit der Adresse in die Hand. Liebensteiner Weg. Beetz wusste nicht, wo der sich befand.
Widerwillig gab ihr Kohlund Auskunft. »Miltitz. Grünau.«
Das lag im Westen der Stadt. Eine gute Stunde Fahrt. Beetz graute davor, gemeinsam mit Kohlund dahin fahren zu müssen. Doch hier auf Station war alles gesagt und getan. Jetzt würde die Krankenschwester nicht mehr erscheinen. Zwei Stunden nach Dienstbeginn. Und sie stand Monique und Solveig nur noch im Weg. Die Kommissare mussten nach Miltitz, diese Manuele Schwitters aufzusuchen, war ihre Pflicht. Sie verabschiedeten sich von den Krankenschwestern.
Als sie einander die Hände gaben, schrillte ein unangenehm hoher Ton. Alarm! Einer der Patienten hatte den Notruf betätigt. Der Normalbetrieb einer Krankenstation ließ sich auch von der Polizei nicht unterbrechen. Monique vergaß ihre Tabletten und die Kommissare
Weitere Kostenlose Bücher