Augen für den Fuchs
Zimmerschlüssel und ging.
23
Ihre Nachtruhe beendete der Wecker, den Franziska Beetz nicht gestellt hatte. Ein Blick zur Uhr sagte ihr, dass sie noch über eine Stunde hätte schlafen können, bevor sie ins Präsidium aufbrechen musste. Über eine Stunde! Sie hatte kaum vier Stunden geschlafen. Und Joseph stellte den Wecker, den er nicht hörte oder nicht hören wollte. Er atmete gleichmäßig tief im Bett neben ihr. Beetz war wütend. Es würde ein Scheißtag werden.
Noch drei Stunden Zeit bis zur Dienstberatung. Kohlund hatte gestern zwar nicht nochmals daraufhin gewiesen, aber die tägliche Sitzung war obligatorisch, und Frau Hohmann goss für sie den Kaffee extra türkisch auf. Jeden Morgen saßen die Kollegen und informierten sich gegenseitig über die neuesten Entwicklungen. Die Sitzung war Ritual und Notwendigkeit. Dann verteilte Kohlund die Aufgaben an seine Ermittler.
Heute freute Beetz sich fast darauf, denn sie hatte neue Fakten zu melden, wenn nicht Kohlund selbst die Sensation mitteilen wollte: Wie Anita Demand existierte auch Manuele Schwitters doppelt. Das war kein Zufall. Beetz vermutete ein Wirtschaftsverbrechen. Und ihre Nase trog selten. Der Fall Stuchlik entwickelte sich in eine völlig unerwartete Richtung. Beetz war sich sicher, dass die Firma Time is Money ihre Mitarbeiter, die Sozialkassen und die Arbeitgeber betrog. Es war offensichtlich, dass die Agentur Arbeitskräfte unter falschen Namen vermittelte. Mit dem Tod von Frank Stuchlik war der Schwindel aufgefallen und Anita Demand verschwunden. Danach die Schwitters und noch weitere Schwestern im Neurophysiologischen Zentrum. Das konnte kein Zufall sein. Der Deal war mit dem Verschwinden der Demand nicht zu deckeln. Jetzt wurde dem schönen Dr. Bornschein der Boden zu heiß. Er zog seine Mitarbeiter zurück. Der windige Geschäftsführer gab die Zeitarbeitsvermittlung auf. Warum sonst war er im Internet nicht mehr erreichbar?
Beetz hatte noch keine Beweise. Sie wusste nicht, wie der Betrug funktionierte und warum die Frauen unter einer falschen Identität arbeiten mussten. Aber in dieser Richtung recherchieren, das stellte sich Beetz langweilig vor: Statistiken vergleichen, Akten studieren, am Schreibtisch sitzen. Sie hatte nie Buchhalterin werden wollen. Dafür gab es Spezialisten. Beetz hatte nichts dagegen, wenn die Mord zwo ihre Zuständigkeit im Fall Stuchlik und Neurophysiologisches Zentrum der Abteilung Wirtschaftskriminalität überließ.
Der Wecker klingelte nach fünf Minuten noch einmal. Sie stellte ihn aus. Joseph drehte sich neben ihr auf die andere Seite. Seine großen hellblauen Augen musterten sie. Sie konnte ihre Wut nicht unterdrücken. Scheißtag! Sie hatte es gewusst, als sie gegen halb drei zu ihm ins Bett gestiegen war. Ein Scheißtag würde es werden. Sie hatten sich trotzdem geliebt.
»Dein Wecker lässt mich nicht schlafen«, sagte sie.
»In der Nacht hast du mich geweckt.«
»Du warst wach.«
»Niemals.« Joseph gähnte ausgiebig und streckte die Arme aus. Dann stützte er seinen Kopf auf die Hand. »Du hast gar nichts erzählt. Neue Leiche?«
»Ich denke, du musst los, oder warum stellst du den Wecker auf eine so unchristliche Stunde?«
Es waren die falschen Worte. Joseph erkannte das Ablenkungsmanöver sofort. Mit solchen Sätzen machte sie ihn erst recht auf ihren Fall aufmerksam. Sie bedauerte, dass Joseph kaum zwischen Privatsphäre und seinem Journalistenjob unterschied. Jedes Wort über ihre Arbeit musste sie bei ihm auf die Goldwaage legen. Was nicht immer funktionierte. Schöpfte Joseph einmal Verdacht, ließ er nicht locker, witterte große Schlagzeilen und den Skandal.
»Ist sie tot?«
»Wer?«
»Die Schwester.«
»Welche Schwester?«
»Na, die, die ihr sucht.«
Beetz hatte ihm davon garantiert nichts erzählt. Und der Pressesprecher hatte die Öffentlichkeit auch nicht über den Fall informiert. Ein toter Krebspatient war keine Schlagzeile wert, nur die Todesannonce. Und eine verschwundene Frau wurde erst nach Wochen zur Meldung. Ob Krankenschwester oder Model. Beetz kannte die Zahlen, wie oft Frauen ihre Familien und Männer verließen. Meist zogen sie zur Mutter, Freunden oder dem Geliebten. Doch bei Anita Demand lagen die Fakten anders. Diese Frau war nicht verschwunden, Beetz hatte sie sogar noch am Handy erreicht. Über Manuele Schwitters konnte Joseph nichts wissen. Aber er witterte die Schlagzeile. Sie sah es ihm an, so wie er sie auf den Ellenbogen gestützt anblickte.
»Dein
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