Augen für den Fuchs
dass Honigs Artikel, seit sie mit ihm zusammenlebte, weniger beleidigend waren, und sie spürte, wenn schon nicht seine Hochachtung, so doch Respekt für ihre Arbeit. Beetz lächelte, als sie sich die Zähne putzte.
Die Stadt lag trist da an diesem Morgen. Graue Gebäude. Grauer Himmel. Graue Menschen mit toten Augen, ohne Lächeln, Masken. Wie eine Glocke hingen die Wolken über der City.
Beetz stand im Stau. Immer wieder hatte sie sich geschworen, den ÖPNV zum Präsidium zu nutzen. Aber mal war ihr die Monatskarte zu teuer, mal der Fahrtakt zu lang, und wenn sie denn einstieg, war sie zwischen zu viele Menschen gepfercht, fetzt fuhren die Bahnen fast leer an ihr vorbei. Sie hatte das Gefühl, dass die Fahrgäste hämisch grinsten. Beetz sehnte sich zurück in ihr Bett und an die Seite von Joseph. Von welchem Prozess der aus Dresden berichten musste, war ihr entfallen. Aber er hatte ihr bestimmt davon erzählt. Nicht einmal daran erinnerte sie sich, so wenig hörte sie ihm zu. Seine Kritik an ihrer mangelnden Aufmerksamkeit ihm gegenüber war durchaus berechtigt. Sie nahm sich vor, das zu ändern, und wusste doch, dass sie es nicht tun würde.
Die Parkplätze vor dem Präsidium waren bereits alle belegt. Oft kam es vor, dass Beetz für ihren Stellplatz im Parkverbot bei der Stadtkasse bezahlte. Politessen kannten keine Gnade, ob sie nun hier arbeitete oder nicht. Selbst wenn Miersch oder Hackenberger Petitionen ans Ordnungsamt schrieben, geändert hatte sich nichts. Mehr als die zugeteilten Parkmöglichkeiten standen den Mitarbeitern nicht zu. Es war ein ewiger Streitpunkt bei jeder Versammlung.
Als Beetz in Grischa Merghentins Büro trat, saß er bereits vor seinem Bildschirm und jagte irgendwelche Mäuse durch Irrgärten. Sein Lächeln ließ sie sämtliche Sorgen vergessen, auch die fünf Euro für den Parkautomaten.
»Frau Kollegin, jung wie der Morgen!«
»Da hängen Wolken, und es tröpfelt dazu. Kein Kompliment.«
Merghentin rollte auf sie zu und hielt ihr die Hand entgegen. Sie beugte sich vor und fiel ihm um den Hals.
»Welch Leidenschaft! Was verschafft mir die Ehre?« Sein Jungengesicht lächelte. Überhaupt sah er gut aus in Rollkragenpullover und Jeans. Sein Oberkörper war muskulöser geworden, seit er im Verband Volleyball spielte. Sie freute sich wirklich über das Wiedersehen und nahm sich vor, Grischa und Kilian öfter zu besuchen. Seit seiner Reha hatte sie es noch gar nicht getan.
»Weißt du, wir haben doch diesen Fall Stuchlik, wo die Krankenschwester verschwunden ist.«
»Der sterbende Tote. Aber da kenne ich weder die Fakten noch den Ermittlungsstand. Ich recherchiere gerade über Arbeitsbedingungen in Nordrhein-Westfalen.«
Beetz wusste nicht, was er damit meinte, stutzte aber nur kurz. »Ich hab ja auch nur eine Idee.«
Sie umriss kurz ihren Verdacht. Merghentin rollte an seinen Schreibtisch und hämmerte auf die Tastatur ein. Er schwieg, und sie schaute zu. Bilder bauten sich auf und verschwanden. Zahlenkolonnen erschienen auf blauem, schwarzem oder grünem Hintergrund. Dann liefen Bilder und Texte in hoher Geschwindigkeit vor ihren Augen über den Bildschirm. Beetz blickte kurz zur Uhr. Zwanzig Minuten noch, bis Kohlund die Mord zwo an seinem Tisch sehen wollte.
»Dies ist ja mal interessant. Bist du sicher, dass du eine Zeitarbeitsfirma suchst und nicht einen Verein der Philosophie?«
»Ganz sicher.«
Merghentin hielt den Finger auf seinen Monitor und rezitierte. » 1748 rät Benjamin Franklin einem jungen Geschäftsmann: ›Remember that Time is Money‹. Seit Einführung der ›Uhr‹-Zeit, im Gegensatz zur ›Natur‹-Zeit sitzt uns dieses Sprichwort im Nacken und treibt uns an. Industrienationen haben sich das engste Zeitkorsett der Welt auferlegt und es zu finanziellem Reichtum gebracht. Die möglichst straff ausgerichtete Ausnutzung der Zeit in Verbindung mit immer höheren Arbeitsgeschwindigkeiten spielen hier die zentrale Rolle. Unser monatliches Einkommen richtet sich nach der Bezahlung pro Arbeitszeit und dem Wissen, das wir uns im Laufe der Lebenszeit erarbeiten. Schnell, schneller, am schnellsten ist schon in der Ausbildung gefragt. Eine rasche Auffassungsgabe in der Fort- und Weiterbildung ist eine wichtige Stufe auf der Karriereleiter.«
Beetz musste lächeln. Grischa gab seiner Stimme einen melodischen Klang, als wenn er auf einer Bühne stehen würde. Er schaute sie an.
»Genau darauf baut diese Bude und zockt die Klienten ab, die ohnehin keine Arbeit
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