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Augen für den Fuchs

Titel: Augen für den Fuchs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henner Kotte
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Kohlund.

24
    Die Sonne malte Sterne aufs Wasser. Durch die Blätter der Bäume drangen ihre Strahlen und überzogen den Weg mit einem matten Glanz. Miersch überraschte diese Idylle. Ideal, der Ort für Ruhe, Entspannung und Liebe. Aus diesem Grunde hatte der Graf den Park anlegen lassen. Bis heute hatte er nichts von seiner Romantik verloren. Miersch kickte einen kleinen Stein vor sich her. Ein Hund kam ihm entgegen und bellte. Frauchen zerrte ihn zurück an die Leine. Das Tier röchelte, als müsse es jeden Moment sterben.
    Miersch hatte bei Gunda nicht nachfragen wollen und sich im Internet vergewissert. Das hatte seine Annahmen bestätigt. Ein Abschnittsbevollmächtigter war in der DDR ein Volkspolizist, der für die polizeilichen Aufgaben in Wohngebieten zuständig war. In seinem Abschnitt war er polizeilicher Ansprechpartner für die Bewohner und versah Streifendienst. Er war für die Aufnahme und Weiterleitung von Anzeigen und polizeiliche Prävention zuständig. Der ABV hatte ähnliche Aufgaben wie ein heutiger Kontaktbereichsbeamter der Polizei. Es blieb Miersch unverständlich, warum Gunda und andere hier Geborene nicht neudeutsch mit ihm reden konnten. Er hatte den Eindruck, dass sie es darauf anlegten, ihn mit ihm unbekannten Begriffen zu nerven, deren Bedeutung er – anders ausgedrückt – sofort verstehen würde.
    Normalerweise wurden Kontaktbereichsbeamte von den Kriminalisten befragt, wenn sie Näheres zum sozialen Status, den Beziehungen, Straftaten und andere Auffälligkeiten bei Opfern und Verdächtigen erfahren wollten. So war Miersch verständlich, warum Jens Günthardt in den Akten des Falles stets wieder auftauchte. Gunda hatte ihm empfohlen, mit dem Macherner Abschnittsbevollmächtigten zu sprechen. Günthardt hatte ihren Großvater gekannt, und er kannte die Kleinstadt. Miersch hatte sich telefonisch bei Günthardt gemeldet, dabei jedoch weder Namen, Funktion noch den Anlass seines Besuches erwähnt. Ohne nachzufragen hatte Jens Günthardt sofort zugesagt, ja, er freue sich auf ein Treffen. Miersch sammelte die Fakten, zu denen er mehr erfahren wollte. Er bedauerte, schon sehr lang kein Verhör mehr geführt zu haben. Die Strategie der Gesprächsführung festzulegen, fiel ihm deutlich schwer.
    Günthardts Haus lag am anderen Ende des Ortes. Miersch lief durch den Park. Am Morgen war hier kaum ein Mensch unterwegs. Tau glitzerte noch in den Halmen. Bäume rauschten. Wie aus der Welt gefallen kam Miersch sich vor und erinnerte sich an das erste Rendezvous seines Lebens. Natürlich trafen sich die Teenager auch damals nicht zu Hause unter den Augen der strengen Eltern. Auch Konstantin nicht, selbst wenn es ihm heute vorkam, als sei es gar nicht er gewesen, der auf stillen Wegen spaziert war. Er und die Freundin hatten sich im Park verabredet und waren Händchen haltend Stunde um Stunde herumgelaufen. Niemand war ihnen begegnet, zumindest hatten sie keinen anderen Menschen gesehen. Der erste Kuss hatte ihn Überwindung gekostet. Renate hatte sie geheißen, und sie trug ein hochgeschlossenes Kleid. Er war danach nach Hause gerannt und hatte bis zum Morgen nicht einschlafen können. Miersch konnte sich nicht erinnern, jemals mit Margo so einsam zu zweit gelaufen zu sein.
    Jens Günthardt hatte mit Hajo Popp Fußball gespielt. Gunda hatte auf die Siegerpokale im Regal gewiesen. Günthardt sei ebenfalls nie wirklich von der Schuld ihres Opas überzeugt gewesen, hatte sie gesagt. Jedenfalls hatte sie Rosels und Annes Äußerungen in dieser Richtung so gedeutet. Ich wünsche uns Glück, hatte Gunda gesagt, dass Sie den richtigen Täter heute noch finden.
    Miersch hatte genickt. Wir werden ihn überführen! Er glaubte nicht an eine andere Lösung des Falles. Aber Gunda hatte gesagt: Ich wünsche uns Glück. Uns! Er gehörte zu ihrer Gemeinschaft dazu. Das machte ihn stolz. Er würde alles dafür tun, Hans-Joachim Popp zu entlasten. Mein Hajo ist kein Mörder! Miersch hatte keine Hoffnung. Aber er wollte Anne von seinen ehrlichen Absichten überzeugen, und einen anderen Weg, ihr Vertrauen zu gewinnen, sah er nicht. Und doch blieb es ihm unklar, warum er überhaupt um die Sympathie dieser Frau buhlte. Oder er gestand sich diese Wahrheit nicht ein. Konstantin Miersch stand kurz vor der Rente und konnte sich nicht mehr verlieben.
    Die Straße hinter der Parkmauer erinnerte an die Dörfer seiner Kindheit. Hutzelig standen die Häuser, und die Vorgärten waren gepflegt. Aber im Gegensatz zu seiner Heimat

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