Augen für den Fuchs
einer Schrankwand verstellt, in der sich Nippes stapelten, russische Holzmalerei und eine Wasserpfeife, Bildbände, keine anderen Bücher. Der Tisch war aus dunkelbraun gebeiztem Holz. Die Decke war im Kreuzstich handgestickt. Neben der Sitzgarnitur stand ein Nähkasten. Darauf lag rosa Strickzeug. Miersch glaubte, dass es ein Strampelanzug werden sollte. An den Wänden hingen Familienbilder und eine Kinderzeichnung. Im Fenster stand ein Blumenstrauß und verdunkelte das Zimmer noch mehr.
Dann stieß Frau Günthardt die Tür auf, ein Tablett in den Händen. Der Kaffee dampfte. Sie stellte ihn auf dem Tisch ab und begann zu decken. Einen Teller mit Plätzchen stellte sie vor ihn hin. Miersch verbot sich, sofort zuzugreifen.
»So.« Frau Günthardt blickte zur Uhr und verteilte Geschirr. »Das kann manchmal ooch dauern mit die alten Karreed’n.«
Miersch konnte sich den Satz nicht übersetzen, stufte ihn aber als unwichtig ein. Frau Günthardt blieb neben dem Tisch stehen und blickte auf ihn herab.
»Sie können sich also an den Augensammler erinnern?«, fragte er.
»Natürlich. Mir haben uns dadermals kaum nor getraut, s Haus zu verlassen.«
»Hat man den Täter gefasst?«
Offensichtlich hielt Frau Günthardt ihn für einen Journalisten, so bereitwillig, wie sie seine Fragen beantwortete. »Nu ja, ’s war ein Mann aus’m Orte. Unbescholten bis dato. Der Wirt von da drüben.« Sie hob ihre Hand und machte eine Geste, die wohl in Richtung Zu den alten Eichen deuten sollte. Ihr Busen hob und senkte sich vom schweren Atem der Aufregung. Sie nestelte an der Schürzentasche.
»Sie hatten nie Zweifel an seiner Schuld?«
»Nu ja. Keiner konnt’s glaub’n, dass der … nu ja …«
Miersch nahm an, dass Frau Günthardt nach Worten suchte, aber sie kam auf ihn zu und flüsterte: »Mein Mann hat’n Hajo nie für schuldig gehalten. Aber … wer weeß …« Sie wedelte mit ihrer Hand und benahm sich, als sei ihr Gespräch eine Verschwörung und sie würde Staatsgeheimnisse verraten.
Miersch trank von seinem Kaffee und griff an ihr vorbei nach den Plätzchen. »Die Beweise scheinen mir eindeutig. Ich habe die Akte gelesen.«
»Nu ja.« Frau Günthardt nickte beflissen. »Ja. See eigner Sohn hat ihn getötet. Gruslig, ni? Irgendwie gruslig.«
Sie verstummte, als würden sie die Erinnerungen quälen. Miersch griff zum Butterkeks. Lecker. Wahrscheinlich selbst gebacken für die Enkel.
»Schlimm. Schlimm. De Rosel hat’s ooch ni einfach gehabt. Und dann hat sich ihr Sebastian selber umgebracht nach der Tat an seinem Vater. Nee. Nee. Eine Tragödie, sach’ch Ihn, eine Tragödie. Mir haben mit ihr gelitten. Wirklich.«
»Und trotzdem halten Sie Hajo Popp für unschuldig?«
»Nu ja …« Sie strich mit den Händen über ihre Schürze. »Er muss es gewesen sein, denn nach seinem Tod hab’n die Morde ja uffgehört. Nie wieder is hier was passiert … nu ja.«
»Du redest, wie du’s verstehst!«
Jens Günthardt stand urplötzlich im Raum. Weder seine Frau noch Miersch hatten sein Kommen gehört. Jedenfalls nahm Miersch an, dass es der ehemalige ABV war. Sein Auftreten war noch immer schneidig, auch wenn der Bauch über den Hosenbund hing. Günthardts Blaumann war ölverschmiert, offensichtlich hatte er wirklich an Traktoren geschraubt.
»Ooch glei ä Tässel? Der Kaffee is fertig.«
Miersch konnte nicht entscheiden, ob Günthardt genickt hatte, doch seine Frau lief zur Küche und rumorte im Schrank, wohl um ihm eine Tasse zu holen.
»Sie sind Herr Miersch?«
Miersch nickte.
»Der Kriminaldirektor?«
Miersch nickte wieder und fragte sich, wie sich seine Identität so schnell herumgesprochen hatte. Anne und Gunda traute er dieses Getratsche nicht zu. Vielleicht hatte Rosel geplaudert. Aber Günthardt konnte auch anderswo von ihm gehört haben. Oft genug in der Zeitung gestanden hatte er ja. Und sein Bild war übergroß auf dem Titel gewesen.
»Was wollen Sie von mir?«
»Mich interessiert der Augensammler.«
»Der ist tot.«
»Wenn Hajo Popp es wirklich getan hat.«
»Sie zweifeln daran?«
Miersch suchte nach Worten, musste begründen, woran er im Grunde keinen Zweifel hatte. Er konnte sich Günthardt gut als Polizisten vorstellen. Er hätte nicht von ihm verhört werden wollen.
»Ja. Es könnte doch sein … seine Gattin und Tochter glauben nicht, dass er es getan hat.«
»Na, die müssen’s ja glauben.«
»Warum?«
»Die Akten sind geschlossen, und der Augensammler hat nie wieder gemordet.«
Frau
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