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Augen für den Fuchs

Titel: Augen für den Fuchs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henner Kotte
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waren hier die Fassaden weniger herausgeputzt. Die Geranien vor den Fenstern fehlten. Die Gärten schienen ihm auch weniger mit dem Lineal gezogen. Blumen blühten. Alte Frauen harkten Beete. Männer sah Miersch keine. Auch kein Auto und keine landwirtschaftlichen Maschinen. Ein vergessenes Land. Er lief die Straße entlang, als betrachte er ein Museum.
    Haus Nummer 12, hatte Gunda gesagt. Sie erkennen es an dem Mühlrad am großen Tor. Miersch zögerte, die Klingel zu drücken. Weit weg hörte er ein silbernes Schellen. Ein Hund bellte genau hinter dem Tor aus fleckig rot bemaltem Holz. Miersch hörte ihn kratzen und scharren und war versucht, wieder zu gehen.
    »Herr Miersch?«, fragte eine weibliche Stimme.
    »Ja!«
    Das Tor öffnete sich, und eine rundliche Frau in Schürze stand dahinter.
    »Günthardt.« Sie streckte ihm die Hand entgegen. »Mein Mann ist noch mal kurz zur Genossenschaft gemacht, ’n Traktor hat’n Geist aufgegeben. Un jetze, wo der Samen ins Felde muss, zählt jede Minute.«
    Frau Günthardt trat zur Seite und ließ ihm den Vortritt. Miersch ging in den Hof. Der bellende Hund war nirgends zu sehen. Sie wies aufs Haus. Er musste den Kopf senken, um nicht mit der Stirn anzustoßen. Es war ein altes Bauernhaus, und die Höhe maß höchstens einen Meter achtzig. Miersch hatte sich bei seinen Verwandten vom Dorf mehrmals die Stirn aufgeschlagen, weil er den Türrahmen des kleinen Bauernhauses nicht im Blick gehabt hatte.
    Im Inneren war Günthardts Häuschen erstaunlich modern eingerichtet. Miersch trat durch die Küche in die kleine Stube. Ein Radio lief und sprach von Sondierungsgesprächen und Einigkeit im schnellen Vorangehen im Dienste des Volkes.
    Frau Günthardt lachte. »Klingt wie frieher, ooch da ist alles nur zum Wohle unseres Volkes geschehen.«
    Miersch lachte mit, um nicht als unwissend geoutet zu werden. Er war von der Offenherzigkeit und dem mundartlichen Anklang freudig überrascht. Er hatte sich an die Sprache gewöhnt und fand sie eher angenehm, obwohl der angeblich furchtbarste Dialekt gerade wieder zum unbeliebtesten der Nation gewählt worden war. Miersch hatte keine Ahnung warum.
    »Was woll’n Se denne von meinem Mann?«
    »Ich recherchiere im Fall eines Serientäters. Den Augensammler hat man ihn hier genannt.«
    Sie blickte ihn an, nickte, dann sagte sie: »Habe ich schon lange damit gerechnet, dass de ma eener darnach fragt.«
    Frau Günthardt bemerkte augenscheinlich seine Überraschung und nickte mehrmals. »Wo doch alle großen Fälle fürs Fernsehn bearbeitet werden. Kripo live. Ich gugge’se alle von Autopsie bis Akte Mord. Mei Mann hat mir ja kaum was von seiner Arbeit erzählt, nor? Und so viele Gewalttätigkeiten hadds bei uns ooch ni gegeben.«
    »Aber vom Augensammler werden Sie doch gehört haben?«
    »Nu, man spricht noch heute da dervon.« Sie rieb sich die Hände an der Schürze. »Bitte setz’n Se sich nur.«
    Als wäre ihr das Geplauder mit einem Mal unangenehm, fragte sie: »Einen Kaffee? Oder missen Se gleich wieder weg?«
    »Nee, nee.«
    Jetzt verfiel er auch schon in den Dialekt. Aber Frau Günthardt hatte es offenbar nicht als peinlich empfunden und verschwand hin zur Küche. Miersch hörte sie mit Geschirr klappern. Er rieb sich über die Augen. Offensichtlich galt hier eine andere Zeitrechnung. Wenn er einen Termin vereinbarte, hielt er diesen Termin auch ein. Und warum ein ehemaliger ABV zur Genossenschaft musste, blieb ihm unverständlich. Aber Miersch wartete.
    Die kleinen Fenster ließen nur wenig Licht in die Stube. Das Haus wirkte wie die Kate eines Häuslers im Film. Würde er hier wohnen, dann hätte er die Scheiben längst schon vergrößert, aber vielleicht ließ das der Denkmalschutz nicht zu. Überhaupt hatte Miersch lernen müssen, dass die Mangelwirtschaft der DDR viele Häuser vor Umbau und Rekonstruktion gerettet hatte. In Leipzig standen fünfzehntausend Gebäude auf der Denkmalschutzliste, hatte er irgendwo gelesen und war erstaunt darüber.
    Frau Günthardt werkelte noch immer in der Küche und sprach mit sich selbst. Die Schrullen, die ältere Menschen hatten! Dabei lagen er und sie im Jahrgang sicher nicht weit auseinander. Miersch fühlte einen Angstschauer seinen Rücken hinunterlaufen, er sah sich kurzzeitig leblos im Koma wie Philip Thede. Er sollte eine Patientenverfügung aufsetzen, seinen Töchtern wollte er das Elend der Pflege nicht überlassen.
    »Mit Sahne? Zugger?«
    »Ohne.«
    »Gudd.«
    Das Zimmer war mit

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