Augenblick der Ewigkeit - Roman
Krankheit abgesagt. Alles nur eine Frage des Willens!«
» Bravo, Maestro! Das nenne ich echte Professionalität!« Es war die Stimme seines Impresarios.
Maria fuhr herum. » Willst du ihn umbringen?«
Im Gang hinter den mittleren Orchestrareihen stand der Mann, den sie am meisten fürchtete und deshalb am wenigsten leiden konnte– Harry Krausnik. Er hatte den weißen Seidenschal lässig um den Hals geschlungen, den breitkrempigen Borsalino in die Stirn gezogen und kaute auf einer kalten Zigarre. Er sah gepflegt aus, wie ein Gangster aus den Noir-Filmen der vierziger Jahre, nur daß er keine weißen Gamaschen trug, dafür aber eine weiße Marble-Morrison-Teerose im Knopfloch seines Revers.
» Hallo, Maria! Ich hoffe, du bist nicht auf Krawall aus?«
» Den kannst du gerne haben. Wenn du mich fragst, ich halte dieses ganze Unternehmen hier für Schwachsinn.«
» Dich hat aber keiner gefragt…« Der Impresario preßte das Kinn auf die Brust und schnappte wie ein Fisch nach Luft.
» Du bist ein Heuchler, Krausnik! Läßt ihn ins offene Messer rennen und siehst zu, wie er verrät, wofür er lebenslang gekämpft hat: die Wahrheit, die Kunst, die Musik!«
» Ach, komm, Maria, das sind nur leere Worte. Bei unserem Projekt geht es um nichts Geringeres als die Zukunft der Tonkunst.«
Herzog hatte sich das Geplänkel eine Weile angehört. » Könnt ihr euch bitte eure Nettigkeiten draußen an die Köpfe werfen. Wir haben noch einiges zu arbeiten, wenn wir am Nachmittag zurück nach Hause fliegen wollen.«
Touristen lagerten am Rand des Springbrunnens in der Mitte des Platzes und aßen ihre Sandwiches. Die Sonne stand im Zenit, und eine Brise wehte den Wasserschleier der Fontänen über den Platz in die Ankunftszone, wo Krausnik das Auto geparkt hatte, das sie und Herzog gleich nach der Probe zum Heliport bringen sollte. Maria schob sich die Sonnenbrille vom Haar zurück auf die Nase und setzte sich auf einen der Steinpoller. » Entschuldige, Harry, aber ich mache mir wirklich große Sorgen um seine Gesundheit. Herzog ist in einer ziemlich desolaten Verfassung. Wäre er sonst vom Podium gestürzt?«
Krausnik schüttelte den Kopf. » Im Gegenteil, Maria. Wenn’s ihm so schlecht ginge, wie du glaubst, wäre er nach dem Sturz nicht wieder aufgestanden. Ich kenne ihn. Er ist unglaublich zäh, wenn’s um seine Arbeit geht.«
Maria hielt ihre Hände in den Fontänenschleier, bis ihre Handflächen naß genug waren, daß sie sich das Gesicht erfrischen konnte. » Er ist abgearbeitet. Er braucht Ruhe.«
» Nach dem Konzert kann er sich ausruhen, Maria. Wenn er jetzt schlappmacht, würde er sich das nie verzeihen. Die Sponsoren übrigens auch nicht. Die Japaner haben eine gigantische Marketingkampagne in Gang gesetzt, die viele Millionen Dollar gekostet hat.«
» Dir geht’s immer nur ums Geld!«
» Mir geht es nur darum, daß seine Träume in Erfüllung gehen…«
» …egal, ob er dafür mit dem Leben bezahlt?«
» Ja, du hast es endlich begriffen. Das ist ihm völlig egal. Alles ist vorbereitet. Ihr braucht nachher nur noch zurückzufliegen. Der Wagen steht bereit.«
In diesem Augenblick bog der Sanitätswagen von der Columbus Avenue in die Ankunftszone ein. Rote Lichter tanzten auf dem Dach. Mit einem letzten Aufheulen der Sirene kam er zum Stehen. Sanitäter stiegen aus, rissen die Hecktür auf und zogen eine fahrbare Trage heraus.
» Komm, Maria, sei vernünftig. Ich sag immer, leben und leben lassen.« Er ließ Maria stehen und ging hinüber zu den beiden Sanitätern. Tatenlos sah Maria zu, wie er ihnen ein paar Dollarnoten zusteckte. Als der Sanitätswagen unverrichteter Ding abgefahren war, beschlich sie das Gefühl, einen Fehler gemacht zu haben.
New York – Dienstag, 12 a.m.
Scheinwerferlicht erfaßt eine Gestalt. Der Mann ist fast nackt. Er hat nur ein Handtuch um die Hüften geschlungen. Es regnet wie aus Kübeln. Sturzbäche schießen aus den Gassen und ergießen sich auf den Platz. Scheibenwischer flappen über die Windschutzscheibe. Sie können die Wassermassen kaum bewältigen. Der Mann hat seine Arme ausgestreckt und den Mund weit aufgerissen. Er schreit. Sein Kopf schlägt gegen die Windschutzscheibe. Glas splittert. Dann ein aufheulender Hupton– Joachim machte einen Satz zurück aufs Trottoir. Fast wäre er überfahren worden, so sehr hatte er an jenen Nachmittag vor fünfzehn Jahren denken müssen, den Marias plötzlicher Besuch wie einen bösen Tagtraum in ihm heraufbeschworen hatte. Er
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