Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Augenblick der Ewigkeit - Roman

Titel: Augenblick der Ewigkeit - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: PeP eBooks
Vom Netzwerk:
lachst…«
    Karl bettete seinen Kopf an ihre Schulter, sah aber noch, wie der Vater rasch den Zeigefinger auf den Mund legte, wie er es immer getan hatte, wenn er verhindern wollte, daß Karl ihr von ihren gemeinsamen Streichen erzählte.
    » Was ist das, tot sein, Mama?«
    Sie strich ihrem Sohn übers Haar. » Wie aufwachen an einem anderen Ort.«
    Jana war eine junge Mutter, kaum älter als fünfundzwanzig. Sie besaß eine Alabasterhaut mit blauen Äderchen an den Schläfen und kastanienbraune Haare.
    » Wie aber kann der Vater aufwachen an einem anderen Ort mit so viel Erde auf dem Sarg?«
    » Es ist seine Seele, die erwacht. Sie fliegt davon und sucht sich einen neuen Körper, in dem sie wiedergeboren wird.«
    » Auch in einem Tier?«
    » Manche Seelen suchen sich auch Tiere aus.«
    » Hat der Vater dir gesagt, was er sich aussuchen will?«
    Die Mutter schüttelte den Kopf. » Nein, darüber hat er nie mit mir gesprochen.«
    » Einen Zaunkönig bestimmt!«
    » Warum?«
    » Weil Zaunkönige so schön singen können!«
    Die Mutter lächelte unter Tränen, band ihm die schwarze Samtschleife und stülpte den Hemdkragen darüber. » Ja, bestimmt, mein Sohn.«
    In der nahen St.-Andreas-Kirche läutete der Meßner das Totenglöckchen, und zwei schwarz gekleidete fremde Männer traten in das Totenzimmer. Die Mutter hatte das Gesicht ihres Buben gegen ihren Bauch gepreßt und hielt ihm die Ohren zu, damit er nicht hören mußte, wie sie den Sarg zunagelten. Dann trugen die Sargträger den toten Vater mit den Füßen voran aus dem Haus und schoben ihn so auf den Leichenwagen, daß er in Fahrtrichtung blicken mußte und den Weg zurück nicht mehr finden konnte.
    Der Trauerzug bewegte sich unterhalb der Rudolfshöhe zum Friedhof. Die Feuerwehrkapelle mit einer schwarz verhängten Pauke marschierte vorneweg. Ihr folgte der Priester mit einem Meßdiener, der das Kirchenkreuz trug. Je zwei Sargträger mit Zylinderhüten auf den Köpfen eskortierten rechts und links den mit Kränzen geschmückten Leichenwagen. Dahinter gingen Karl an der Hand der verschleierten Mutter und der Großvater. Ihnen folgten die Trauergemeinde und die Freunde.
    So begleiteten sie den Vater, der nicht mehr spielen und nicht mehr tanzen konnte, zu den Klängen des Trauermarschs feierlich aus der Stadt hinaus. Der schwarze Leichenwagen rumpelte mit breiten Rädern sein » Memento mori« dazu auf das Kopfsteinpflaster. Die Pferde nickten bei jedem Schritt mit den Köpfen, um ihre schweren, mit schwarzem Tuch bedeckten Leiber auszubalancieren. Ihr Hufschlag hallte in den engen Gassen. Passanten blieben auf den Bürgersteigen stehen und zogen die Hüte.
    Der Sarg ruhte unter einem von Säulen getragenen Baldachin, der ringsum von geschliffenen Glasscheiben eingefaßt war, in denen sich das diffuse Tageslicht spiegelte. Karl schloß die Augen. Als er sie wieder öffnete, sah er den Vater neben den Rappen gehen. Er spielte auf seiner Geige und tanzte mit klackendem Stakkato auf den Katzenkopfsteinen seine komplizierten Dreier- und Zweierschritte. Er lachte und zwinkerte mit den Augen, wie er es immer tat, wenn er anderen einen Streich spielen wollte. Er kam mit der Geige ganz nah an die nervösen Ohren der Pferde und entlockte seinem Instrument einen so schrillen Ton, daß sie scheuten, sich in die Geschirre legten und mit gestreckten Hälsen davongaloppierten.
    Der Kutscher auf dem Bock fluchte. Die Pferde waren nicht mehr zu bändigen. Ungezügelt raste der Leichenwagen durch die Gassen. Kurgäste sprangen zur Seite und brachten sich auf den Gehsteigen in Sicherheit. Der Trauerzug rannte dem Leichenwagen hinterher, der mit einem solchen Tempo in die Egergasse einbog, daß er fast umgekippt wäre. Die wilde Jagd ging holterdiepolter zur Stadt hinaus und die Pappelallee zur Friedhofskapelle hoch.
    Karl hüpfte ausgelassen neben dem tanzenden Vater her, drehte sich im Kreis und klatschte in die Hände, bis ihm schwindlig wurde und er den Boden unter den Füßen verlor. Die Schwerkraft war aufgehoben, und die Dinge hatten ihre Bodenhaftung verloren. Sie drifteten losgelöst wie unter Wasser an ihm vorbei und veränderten ständig ihr Aussehen. Die Augen der Mutter blickten ihn an, und er hörte eine Stimme, die nach ihm rief. » Karl, wach auf!« Sie tätschelte ihm die Hände und die Wangen. » Wach endlich auf!«
    Grelle Lichtblitze explodierten wie Feuerwerkskörper auf seiner Netzhaut.

New York – Dienstag, 11 a.m.
    Herzog kam wieder zu sich. Ein junger

Weitere Kostenlose Bücher