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Augenblick der Ewigkeit - Roman

Titel: Augenblick der Ewigkeit - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: PeP eBooks
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A-Dur-Klavierkonzert von Mozart auf den Pulten verteilte. Karl sah blaß und elend aus und wirkte auf sie wie verloren. Aber da wußte sie noch nichts vom Tod seines Vaters.
    Es war Mittagszeit und heiß. Die Fenster standen offen, und die Orchestermusiker schnappten vor ihrer Probe im Kurpark noch ein wenig frische Luft. Wie aufgeplusterte Elstern hockten sie in ihren Fräcken und weißen Latzhemden auf den Bänken. Franziska hatte sich im dämmrigen Vestibül versteckt. Vorsichtig lugte sie hinter einer Samtportiere hervor und sah, wie Karl in der Partitur blätterte, die er auf den Konzertflügel gelegt hatte, und sich scheu umschaute. Nach kurzem Zögern setzte er sich auf den Klavierhocker und spielte los.
    Wiewohl seine Hände noch kaum in der Lage waren, eine ganze Oktave zu greifen, besaßen sie genügend Kraft, so gleichmäßig, so beherrscht, so sprechend leise zu spielen, daß jeder Ton zu atmen schien. Er neigte sich vor und gab seinem Spiel Nachdruck und Gewicht, ohne die Lautstärke zu übertreiben. Die Töne durchdrangen den Raum, schwebten durch die offenen Fenster nach draußen in den Kurpark, während er am Flügel saß– ein kleiner Junge, selbstvergessen, mit einem Lächeln auf den Lippen.
    Franziska liefen Schauer über den Rücken. Sie wollte gerade den Probensaal betreten, um Karl zu überraschen, als sie hinter sich ein Geräusch hörte. In der Eingangstür stand ein junger Mann im Kapellmeisterfrack und einem Taktstock in der Hand, rothaarig und mit einem Gesicht voller Sommersprossen, der ihr zuzwinkerte, den Zeigefinger auf seine Lippen legte und sich heimlich mit seiner Kurkapelle draußen vor den offenen Fenstern postierte. Karl merkte nichts von all dem. Er glättete die widerspenstige Seite der druckfrischen Partitur, die immer wieder zuklappen wollte, und wiederholte die ersten zwölf Takte des Adagios: eine namenlos traurige Pastorale, die der Pianist allein bestreitet, bevor das Orchester einfällt. Während seine rechte Hand das Thema intonierte, begleitete seine linke die wehmutsvolle Melodie wie gleichmäßig pochende Herzschläge. Er war so versunken in sein Spiel, daß er nicht merkte, wie die Streicher, Flöten und Klarinetten behutsam einfielen und sein Spiel sodann begleiteten. Erst nach einer Weile sprang er plötzlich erschrocken auf. Franziska schossen Tränen in die Augen, als sie ihn so da stehen sah, schuldbewußt, mit gesenktem Kopf und den Händen auf dem Rücken, als hätte man ihn erwischt, in den Honigtopf gegriffen zu haben.
    Schon eine Woche später fand das Klavierkonzert mit ihm unter dem Kurkapellmeister Gottwalt vor großem Publikum im Kurhaussaal statt, mit einem solchen Erfolg, daß es wiederholt werden mußte. Papa war von Karl so begeistert, daß er Freunde aus dem Wiener Banken- und Geldadel einlud; sogar ein berühmter Experte wurde gebeten, Musikprofessor Tschryska vom Prager Konservatorium, mit mächtigem Bauch und einem buschigen Schnurrbart.
    Franziskas Vater, Hofrat Sigmund Wertheimer, saß als Teilhaber und Generalrat für die Aktionäre der » k.u.k. Privilegierten und Allgemeinen Österreichischen Bodenkreditanstalt« in der Geschäftsführung des Wiener Stammhauses. Seine ganze Liebe gehörte der Kunst, vor allem der Musik, und durch sein Erbe schon früh vermögend und unabhängig, hatte er den Entschluß gefaßt, sich vom Amateur zum professionellen Konzertpianisten ausbilden zu lassen. Indes die Musikschule des Wiener Musikvereins hatte seinen Aufnahmeantrag abgelehnt, für einen neuen Anlauf fehlte ihm der Mut, und so kam es, daß aus dem musikbegeisterten Mann ein großzügiger Kunstmäzen geworden war.
    Als er von den finanziellen Schwierigkeiten erfuhr, in welche die Musikalienhandlung Joseph Suk & Bohumil Herzog nach dem Tod von Karls Vater durch Ausbleiben internationaler Kundschaft in Karlsbad geraten war, beschloß er, mit Karls Mutter über die musikalische Zukunft des kleinen Wunderkindes ein ernstes Gespräch zu führen und ihr anzubieten, Karl wie einen eigenen Sohn in seinen Hausstand aufzunehmen, ihn aufs Wiener Konservatorium zu schicken und zum Konzertpianisten ausbilden zu lassen, sobald er die Kadettenschule in Eisenstadt erfolgreich absolviert hatte. Er beabsichtigte, nicht nur die Kosten für Lebensunterhalt, Ausbildung und Erziehung ihres Sohns zu übernehmen, sondern wollte darüber hinaus alle angefallenen Schulden begleichen und der Mutter eine jährliche Rente aussetzen, von der sie und der Großvater leben und die

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