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Augenblick der Ewigkeit - Roman

Titel: Augenblick der Ewigkeit - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: PeP eBooks
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nach New York.«
    » Sie werden es nicht verfehlen, Mrs. Wertheimer. Dort oben liegt es.« Maria deutete auf ein Grab mit einer Statue, die Herzog von einem Steinmetz schon vor Jahren hatte anfertigen lassen.
    Maria blieb neben Joachim stehen, und beide ließen die alte Frau allein zu seinem Grab gehen, so wie sie es sich gewünscht hatte. Ein Schmetterlingspaar, das ungeschickt neben ihr einhertaumelte, begleitete Franziska den schmalen Kiesweg durch die Reihen der Gräber. Sie hielt sich aufrecht und ging mit so entschlossenen Schritten, daß Maria sie aus der Entfernung für eine junge Frau gehalten hätte.
    An Herzogs Grab blieb sie schweigend stehen. Nach einer Weile atmete sie tief aus. » Laß mich dir Kaddisch sagen, Karel: Sein großer Name sei gepriesen in Ewigkeit und Ewigkeit der Ewigkeiten! Gepriesen sei und gerühmt und verherrlicht und erhoben und erhöht und gefeiert und hocherhoben und gepriesen der Name des Heiligen, gelobt sei er, hoch über jedem Lob und Gesang, Verherrlichung und Trostverheißung, die je in der Welt gesprochen wurde, sprecht: Amen!«
    Sie bückte sich und legte einen kleinen Stein auf die Konsole des Grabmals, auf der ein Engel mit geschlossenen Schwingen stand, der sich mit einer Hand auf einen Sockel stützte, während seine freie Hand ins Nirgendwo wies.

EPILOG

Berlin – zwanzig Jahre später
    Ferne Klänge drangen an sein Ohr. Er richtete sich auf, den Kopf in rastloser Bewegung. Der schiefergraue Rücken zitterte und zuckte. Warme Aufwinde vom Kurfürstendamm stiegen in der offenen Kirchturmruine hoch und plusterten sein gesprenkeltes Gefieder. Mit glänzenden schwarzen Kugelaugen spähte er über die wirren Dächer der Stadt. Lichtkugeln und Blitze flammten am östlichen Nachthimmel auf. Er spreizte die Flügel und schwang sich mit einem »kajak-kgiak« von der gezackten Krone der Gedächtniskirche und steilte auf in den Abendhimmel über dem Zoologischen Garten.
    Mit luftdurchschneidenden Geräuschen seines Gefieders schoß er pfeilgerade über den dunklen Tiergarten hinweg, mitten hinein in das majestätische Adagio der Bruckner-Symphonie, das als illuminierte Klangwolke künstlichen Nebels über dem Gendarmenmarkt schwebte. Er warf sich dem Himmel entgegen, getragen vom Gesang der Hörner, Oboen und Klarinetten, und erkundete steigend, fallend und zu den Seiten hinschwingend den Platz, spähte durch den farbigen Dunst hinunter auf die Menschen, die sich vor dem Konzerthaus drängten. Mit dem Vibrato der Celli und Bässe leuchtete die Klangwolke auf, pulsierte mit auf- und absteigenden Posaunen- und Trompetensignalen in farbigen Wellen, bis sie schließlich mit einem Flirren der Violinen und Harfen erlosch.
    Von Scheinwerfern auf den Dächern der Häuser ringsum in grelles Flutlicht getaucht, lag der Gendarmenmarkt wie ein Raumschiff, das in Berlin Mitte gelandet war. Laserstrahlen flimmerten mit staksigen Spinnenbeinen durch den Nachthimmel, streiften flüchtig den Wanderfalken, der mit schräggelegtem Kopf nunmehr auf der Kuppel des Französischen Doms hockte und auf den Platz hinunterspähte.
    Limousinen und Staatskarossen fuhren vor. Das kreiselnde Blaulicht der Begleitfahrzeuge wischte über die Häuserfassaden. Muskulöse Leibwächter, rotgesichtig und mit kahlrasierten Schädeln, rissen die Wagenschläge auf, ließen ihre Schützlinge aussteigen, während ihre Blicke über die gaffende Menge schweiften, die hinter die Absperrungen gedrängt wurde und laut dagegen protestierte.
    Prominenzen strebten über einen roten Teppich, vorbei an einem Spalier von Fernsehkameras und Moderatoren, die das Kulturereignis übertrugen: Die Sensation war perfekt gewesen, als die Berliner Philharmoniker angekündigt hatten, daß sie aus Anlaß seines hundertsten Geburtstags ein öffentliches Konzert »unter der Leitung von Maestro Karl Amadeus Herzog« geben wollten, fast zwanzig Jahre nach dessen Tod.
    Lautlos wie ein Schatten strich der Wanderfalke über das Dach des Konzerthauses und gesellte sich auf dem Giebel des Hauptportals zu seinen mythologischen Brüdern, einem ungestümen Greifenpaar, das, von Apollon gezügelt, einen Streitwagen zog. Unter dem Portikus stand Maria im Blitzlichtgewitter der Fotografen auf der Freitreppe und empfing die illustren Gäste. Silberne Strähnen in ihrem schwarzen Haar rahmten ihr griechisches Profil, und das Kleid, das sie trug, war so eng anliegend, daß es nicht nur ihren knabenhaften Wuchs betonte, sondern ihr ein beinahe hieratisches

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