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Augenblicke Der Geschichte - Das Mittelalter

Titel: Augenblicke Der Geschichte - Das Mittelalter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Guenther Bentele
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Morgen im Reiten Augsburg vor - einige Türme, die in der Ferne zitternd über Hügeln und Baumkronen aufstiegen. Ich konnte mir einigermaßen denken, was mich erwartete. Aber ich hörte noch nicht das Schwirren der Bogensehnen und noch nicht das sirrende Geräusch der Pfeile, auch nicht das Aufbrüllen der Getroffenen, das Stöhnen der Verwundeten und Sterbenden. Doch ich erahnte alle diese Bilder des Schreckens.
    Noch blieb das Land um mich stumm in der langsam aufkochenden Hitze des Augusttages; kein Vogel, keine Maus waren zu hören - nur ein Bussard kreiste über den reifen Ährenfeldern. Aber nicht einmal seinen Schrei vernahm ich.
    Ein seltsames Bild des Friedens.
    König Otto wollte die Plage beenden, diese Schrecken, die unser Land verheerten. Der König hatte seine Boten ausgesandt, um Reiter zu sammeln, Reiter aus Schwaben und aus Franken, aus Sachsen und Lothringen, aus Böhmen und Bayern und von noch anderen Stämmen - viele Reiter, denn die Plage war furchtbar.
    Zahlreich sind die Männer, die auf der Welt den Tod verbreiten. Aber ich wusste es besser als König Otto: Ich wusste, dass die Plage, die vom Aufgang der Sonne her von den fremden Reitern in unser Land getragen wurde, nicht beendet werden konnte. Der König irrte: Es ist ganz sinnlos, gegen Plagen zu kämpfen, die Gott schickt! Nein, die Welt würde untergehen, und Gott der Herr würde auf den Wolken sichtbar wiederkehren.
     
    Besser war es, sich bereitzumachen für die Wiederkunft des Herrn. Wie jene Frommen, von denen Pilger berichteten, die vom mittelländischen Meer zu uns kamen: Zuoberst auf Marmorsäulen, den Resten der alten heidnischen Tempel, saßen jene bei Tag und Nacht, zitternd vor Erwartung und preisgegeben der Kälte, der Sonne, dem Regen, dem Schnee und dem Hagel, verzehrt vom Durst nach der ewigen Herrlichkeit. Sie schauten den Glanz der Sonne. Und sie schreckten auf, wenn ein Stern vom Himmel fiel und seine schimmernde Spur in die Vergänglichkeit zog.
    Auch auf den Felsen der Küsten Kleinasiens, auf den Spitzen des Taurus und auf den Gipfeln des Kaukasus saßen die Wartenden und beteten und harrten des Herrn. Denn wie ein Blitz vom Aufgang des Himmels bis zu seinem Niedergang hinfährt, würde der Herr auf den Wolken erscheinen, furchtbar für die einen, süß für die anderen. So stand es in der Heiligen Schrift.
    Diese Glücklichen sollten die Ersten sein, die den Herrn sahen. Sie fühlten nicht mehr den Hunger des Leibes über dem Durst der Seele.
     
    Meile um Meile, die ich Augsburg näher kam, wuchsen die Ängste der Menschen rings um mich: Ich sah, wie sie sinnlos rannten, Hühnern gleich, wie sie ihr Hab und Gut in Körbe, Säcke und Bündel rafften und Hals über Kopf flohen. Das Leben retten, den Besitz retten!
    Ich aber scherte mich nicht um den Tod und wollte nur das wirkliche Leben - und das ist das ewige Leben. Denn ich hatte das Wort des Herrn verstanden: Leben ist Tod, Tod ist Leben!
    Es kümmerte mich zunächst nicht, was mit mir geschehen würde, wenn ich zu diesen todbringenden Teufeln käme, an die ich geschickt worden war. Erst langsam wuchs mit jedem Schritt meines Pferdes eine Beklemmung, die ich nicht recht bezwingen konnte: Was erwartete mich? Ein rascher, erlösender Tod? Oder ein langsamer, qualvoller? Oder gar Ehre und Ruhm?
    Aber wichtiger ist der Tod selbst.
    Vater Willibrod, mein Lehrer, hatte es mir gesagt. Er war ein guter Lehrer, damals noch in der Klosterschule zu Lorsch am Rhein, wo die Herrlichkeit Kaiser Karls noch immer sichtbar war. Aber auch sie ist eine irdische Herrlichkeit, wusste ich, die an dem letzten Tag, der sich bereits zu erheben begann, verworfen werden sollte.
    Denn es sind Zeichen erschienen, hatte mein Lehrer gesagt, blutige Zeichen, die man nicht übersehen durfte.
    Aus dem Nordmeer war schon vor hundert Jahren die erste der Plagen aufgestiegen.
    Mit Schiffen ruderte die Plage die Ströme hinauf. Es waren Lang-schiffe, schmal, beweglich wie Lebewesen, mit bunten Drachenköpfen an Bug und Heck; besetzt mit Bogenschützen, geschützt von runden Schilden. Männer haben sie gerudert, Krieger mit langen Bögen aus hartem Holz. Die schossen weiter, als je ein Bogen geschossen hat, und sie trafen tödlich genau. - Mein Lehrer hatte mir einmal einen solchen Pfeil gezeigt: leicht und doch gewichtig, fein und doch wuchtig, mit einer Spitze, die tief in den Finger ritzte, wenn man darüberstrich.
    Nicht Wall noch Graben halfen. Die Männer stiegen grinsend aus ihren Schiffen und

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