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Augenblicke Der Geschichte - Das Mittelalter

Titel: Augenblicke Der Geschichte - Das Mittelalter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Guenther Bentele
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Männern verführen.
    Das alles ist nicht unbedingt schlecht, sagte mein Lehrer, aber die Menschen können sich von diesem tierischen Teil ihres Lebens lösen: Die Mönche tun es, und viele Priester machen es ihnen nach. Es gibt Prediger, die meinen, eine Ehe ohne diese tierische Paarung und ohne Nachkommen sei die beste.
    Dies alles leuchtete mir ein, dennoch: Was sollte denn noch Vermehrung angesichts der Tatsache, dass die Welt unterging?
    Deshalb wusste ich, dass es Unsinn war, gegen diese apokalyptischen Reiter zu kämpfen. Sie verkündeten das Ende der Welt. Das war ihre Aufgabe. Sie selbst wussten nichts davon.
    Aber ich erkannte: Das schreckliche Ende, das sie anzeigten, war nur ein Anfang der herrlichen Wiederkunft des Herrn. König Otto konnte diese Reiter nicht besiegen, niemand konnte es. Der Sieg König Heinrichs in Riade an der Unstrut würde nicht von Dauer sein. Nichts auf der Erde war von Dauer. Auch der eingeritzte Kreis nicht.
    Von Dauer war nur der Name, mit dem Gott uns rief - in die Ewigkeit.
     
    Dennoch sah ich auf meinem Weg die wachsende Zahl verbrannter Höfe, wie sie ihr Gebälk schwarz zum Himmel reckten, mit zunehmender Angst. Manchmal war eine Hauswand auf die Straße gestürzt, und ich musste um den qualmenden Schutthaufen herum-reiten.
    Dazwischen standen jammernde Menschen. Sie starrten mich an, weil ich geradewegs in die Richtung des Feindes ritt. Manchmal verstellten sie mir den Weg, griffen nach meinen Zügeln und schrien auf mich ein. Sie wollten mich warnen und retten.
    Aber was konnten sie mir sagen? Ich hatte es eilig und hörte ihnen nicht zu.
    Gegen Ende meines Ritts begegnete mir ein ganzer Schwarm gepanzerter und bewaffneter Reiter: Bischof Ulrich von Augsburg war aus seiner belagerten Stadt ausgefallen und hatte die Ungarn angegriffen, so erfuhr ich von ihnen. Der Bischof war, nur den heiligen Kelch mit der Hostie in der Hand, auf die Ungläubigen eingedrungen. Aber es war ihm mit allen seinen Panzermännern nicht geglückt, die Feinde von den Wällen seiner Stadt zu treiben.
    Warum wusste ein Bischof nicht, was Gottes Wille war?
    Jetzt ritten die Männer des Bischofs dem Heer König Ottos entgegen, um es zu verstärken. Den Ring um Augsburg hatten die Ungarn nicht schließen können, die Stadt war zu groß. So war es den gepanzerten Reitern gelungen, aus dem Kreis der Belagerer herauszukommen. Doch wo war der König, dem sie sich anschließen wollten?
    Ich wusste es. Aber sie wussten es nicht, und sie wussten nicht, dass ich es wusste. Dass ich ein Bote war, das konnten sie sehen. Aber wessen Bote - das wussten sie nicht. Und das Mönchsgewand, das ich übergestreift hatte, nahm jeden Verdacht von mir.
    So sprengten sie weiter, auf der Suche nach dem König.
    Die Flüchtigen, die mir jetzt in immer größeren Scharen entgegenkamen, zitterten um ihr Leben. Ihr Besitz war geraubt oder verbrannt. Mein schlechtes Gewissen wurde laut, als ich auf sie ein-schrie: »Lasst mich durch. Es ist wichtig! Es ist auch wichtig für euch!«
    Das war gelogen. Aber zählten Lügen angesichts des Endes?
    Für sie wäre ich ein Verräter gewesen.
    Wir hätten gar nicht miteinander reden können - sie waren viel zu laut. Ich verstand von dem, was sie schrien, kaum etwas, nur immer den Namen Otto. Es war mir nicht wichtig.
    Ich konnte es mir freilich denken: Wo ist König Otto? Kommt König Otto? Oder sie schrien: Kommt König Otto bald? Wann kommt König Otto endlich? Weißt du, wann König Otto kommt? Hast du ihn gesehen? Und dergleichen mehr.
    Ich konnte mich nur schwer durch diese Menschenhaufen hindurcharbeiten. Mein Pferd, das ich sehr gefordert hatte, schnaubte und begann zu bocken. Schaumflocken flogen von seinem Maul. Ich musste den Druck der Schenkel verstärken und die Zügel hart anziehen.
    Den Dolch zu Hilfe nehmen gegen die Flüchtigen? Es wäre zu gefährlich gewesen - nicht für mich, aber für meinen Auftraggeber, meinen Herrn Berthold von Reisensburg.
    Ringsum war das Getreide in den Boden gestampft, als läge es schon auf der Tenne - hier würde es in diesem Sommer keine Ernte geben. Aber bald würde es nirgendwo mehr eine Ernte geben. Schwere Schwaden zogen über die Felder, der Horizont war voll Rauch.
     
    Ich dachte an Herrn Berthold von Reisensburg, meinen Herrn. Ich hatte erschrocken aufgeschrien und war einen Schritt zurückgewichen, als er mir im Palas seines Herrensitzes bei der Stadt Günzburg den Auftrag gegeben hatte: Nach Augsburg zu den Ungarn sollte ich

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