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Augenblicke Der Geschichte - Das Mittelalter

Titel: Augenblicke Der Geschichte - Das Mittelalter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Guenther Bentele
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berauben!
    Aber im ersten Jahr blies der Wind des Glücks seinem Schifflein kräftig in das Segel, er legte gewaltig zu. Er war selbst für einen Räuber von ungewöhnlicher Härte und Grausamkeit, und von jeder Beute bekam er das beste Stück. Es zerriss ihn schier vor Übermut. Und er lebte in Saus und Braus.
    So sollten sie ihn zu Hause sehen, sein Vater!
    Da nahm er Abschied vom Hofe und von seinen Kumpanen und ritt heim.
     
    Was jetzt kommt, ist unglaublich: Der Empfang zu Hause -
    Ging man ihm entgegen? Nein! Man rannte, was man nur rennen konnte; alle sprangen sie, einer überholte den anderen - jeder wollte als Erster bei ihm sein.
    Selbst Vater und Mutter rannten, wie sie in ihrem Leben noch keinem Kalb nachgelaufen waren.
    Wer würde sich als Erster den Botenlohn verdienen?
    Der Knecht war als Erster bei ihm: Sie gaben ihm dafür ein Hemd und eine Hose. Ihm folgte die Magd.
    Wie redeten der Knecht und die Magd ihn an? Sagten sie: Willkommen zu Hause, Helmbrecht? - Man hatte sie anderes geheißen. Sie nannten ihn: »Junger Herr!«
    Der Gast aber sagte: »Viel liebe soete kindekin, Gott segne euch.«
    Nun war die Schwester heran. Sie fiel ihm um den Hals.
    »Gratia vester«, sagte er zu ihr.
    Nun kamen mit ausgebreiteten Armen und außer Atem die beiden Alten angelaufen.
    »Deu sal!«, sagte er zu seinem Vater, und zur Mutter redete er böhmisch: »Dobra ytra!«
    Da sahen sich die beiden an, und die Mutter meinte zögernd: »Lieber Mann, wir haben uns getäuscht. Er ist es nicht - es ist ein Böhme oder ein Wende.«
    »Ein Franzos ist es. Mein Sohn, den ich Gott befohlen habe, ist es sicher nicht, wenn er ihm auch ähnlich sieht«, sprach der Vater verwirrt.
    »Das ist nicht euer Sohn«, meinte auch Gotelinde, »er hat mich lateinisch angeredet. Ich glaube, es ist ein Geistlicher.«
    »Wahrscheinlich kommt er aus Sachsen oder aus Brabant«, sagte der Knecht, »wenigstens nach dem, was er zu mir gesagt hat: ›Liebe soete kindekin‹, ja, ein Sachse.«
    Da fragte der Vater kurz und hart: »Bist du mein Sohn Helmbrecht? Sag etwas in unserer Sprache, so wie unsere Vorfahren redeten - damit ich es weiß. Du sagst Dinge, die kein Mensch versteht, wie ›deu sal‹. Erweise deiner Mutter und mir den schuldigen Respekt, und du wirst aufgenommen, wie sich’s gehört. Sprich ein Wort Deutsch, wie wir es kennen, und ich werde deinen Hengst abwischen - ich selbst und nicht mein Knecht! Helmbrecht, lieber Sohn, ich wünsche dir nur Gutes.«
    Helmbrecht sah von seinem Pferd herab: Welch ein Pack! Gott sei Dank gehöre ich nicht mehr dazu!
    »Ei, was snacket ihr, geburekin«, sagte er, »und diese Bauerntrampel da? Merk dir, mein Parit und mich, einen vornehmen Menschen, soll kein Bauernlümmel jemals angripen.«
    Darüber erschrak der Vater noch viel mehr: »Wenn du Helmbrecht bist, mein Sohn, wird dir noch heute ein Huhn gesotten und ein zweites gebraten. Und bist du nicht Helmbrecht, mein Sohn, sondern ein Böhme oder Wende - so mögt Ihr, fremder Herr, zu den Wenden fahren; ich habe mit den eigenen Kindern, weiß Gott, Ärger genug! Selbst ein Geistlicher bekommt von mir nur, was ihm von Rechts wegen zusteht. Und seid Ihr nicht Helmbrecht, so wascht Ihr an meinem Tisch die Hände nicht. Seid Ihr ein Sachse oder aus Brabant, oder seid Ihr aus Frankreich, so bekommt Ihr bei mir nur das, was Euer Reisesack hergibt: Von mir gibt es nichts dazu, und wenn die Nacht ein Jahr dauert! Ich habe weder Met noch Wein - geht zu den Vornehmen.«
    Es war schon sehr spät, und da dachte Helmbrecht bei sich: Bei Gott, es ist besser, wenn ich ihnen sage, wer ich bin. Kein Mensch nimmt mich auf weit und breit, es ist dumm von mir, mit fremder Zunge zu reden - ich lasse es lieber sein.
    Er sagte: »Ja, ich bin der.«
    »Wer?«, fragte der Vater streng.
    »Der so heißt wie Ihr.«
    »Und der heißt?«
    »Ich bin es, Helmbrecht; ganz bestimmt! Euer Sohn und Knecht war ich noch bis vor einem Jahr.«
    Die Lippen des Vaters waren jetzt ganz weiß und schmal: »Nein!«, sagte er.
    Der junge Mann musste die Namen der vier Zugochsen des Vaters nennen: Sie hießen Auer, Räme, Erge und Sonne.
    Erst jetzt öffnete der Vater Tür und Tor, Kammern und Kasten für seinen Sohn.
     
    Neidisch könnte man werden, wenn man sieht, wie der Gast jetzt behandelt wird: Sein Pferd wurde vom Vater ausgiebig versorgt, gründlich abgerieben, gestriegelt, gefüttert. Mutter und Schwester selbst bereiteten ihm ein gutes Lager - es konnte nicht rasch genug gehen.

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